Ziemlich klassisch: „Mozart in the Jungle“

Für das Genie Rodrigo (Gael García Bernal) ist fast alles nur ein Spiel; Foto: Amazon Studios/Ali Goldstein

Zweigeteilte Kritik zur Amazon-Serie „Mozart in the Jungle“. Zuerst allgemein (und spoilerfrei) zur Serie und dann im Detail zur zweiten Staffel.

Mit „Mozart in the Jungle“ hat sich Amazon in im doppelten Sinne klassisches Gebiet vorgewagt. Wir haben es hier mit einer relativ simplen, geradlinigen Serie zu tun, die genauso gut in jedem anderen üblichen Berufsfeld spielen könnte: Krankenhaus, Anwaltspraxis, Kriminalpolizei. Der literarischen Vorlage geschuldet, dürfen wir bei den inneren Vorgängen der fiktiven New York Symphony dabei sein. Die Aufsichtsratsvorsitzende Gloria (Bernadette Peters) holt einen jungen sonderlichen Stardirigenten (Gael García Bernal) als Musikdirektor, der alte Maestro (Malcolm McDowell) findet das weniger gut und grummelt vor sich hin. Eine junge Oboistin (Lola Kirke) möchte so gerne ins Orchester, muss daneben aber Leben und Liebe in der Großstadt meistern und das restliche Orchester hat je nach Bedarf Probleme mit Ego, Drogen, Geld, Liebe, der Kunst und/oder dem Arbeitsrecht.

Eine passable Serie für jede und jeden. Die Musik ist natürlich erstklassig (funktioniert schließlich schon seit Jahrhunderten) und mit Bernals durchgeknalltem Rodrigo DeSousa gibt es einen Charmebolzen, dem man einfach nicht böse sein kann. Wer etwas darauf gibt, kann auch zwei aktuelle Golden-Globe-Nominierungen Auszeichnungen auf die Liste der Pro-Argumente setzen, warum man die Serie guten Gewissen ansehen kann.

Hinter den Kulissen zeichnet das Quartett Paul Weitz, Roman Coppola, Alex Timbers und Jason Schwartzman (der auch eine Nebenrolle als Klassik-Podcaster Bradford übernimmt) für die Serie verantwortlich. Keine schlechte Truppe, die eine höchstanständige Serie für Amazon nach dem Memoir „Mozart in the Jungle: Sex, Drugs, and Classical Music“ produziert – und das hoffentlich noch lange. Bisher gibt es zwei Staffeln mit je zehn Folgen, noch ein paar mehr sind sicher kein Fehler.

„Mozart in the Jungle“ ist – wenig überraschend – nur bei Amazon zu sehen. Die Pilotfolge ist frei, die restlichen Folgen der ersten Staffel sind in OV und mit deutscher Synchronisation mit Amazon Prime verfügbar. Die zweite Staffel ist seit 30. Dezember in der Originalversion verfügbar, die synchronisierte Fassung folgt am 12. Februar.


Ab jetzt Spoiler!

Kritik zur zweiten Staffel

Nach der irgendwie gerade noch gut gegangenen Orchesterpremiere am Ende der ersten Staffel beginnt die neue mit einem etwas merkwürdigen Zeitsprung. Rodrigo ist als Gastdirigent in Los Angeles und redet dort mangels realen Freunden mit seinen imaginären aus dem Barock. In New York dürfte das Orchester gerade eine Konzertpause haben und vertreibt sich die Zeit mit Softball und Gehaltsverhandlungen. Trotz – es wird später gesagt werden – einem konstant vollen Haus, seit Rodrigo den Taktstock übernommen hat, ist das Orchester in finanziellen Nöten.

Nachdem die Personalvertreter aus dem Orchester in der letzten Staffel eher nur dem Probieren im Weg standen, müssen sie jetzt also einen ernsten Kampf gegen das Management ausfechten. Dabei erweisen sie sich aber leider als zart besaitet und holen sich die erfahrene – im Endeffekt aber auch nicht wirklich hilfreiche – Anwältin Nina (Gretchen Mol) als Unterstützung. Haben wir in der ersten Staffel gesehen, dass selbst langdienende Mitglieder der „NY Symphony“ noch Zweitjobs ausüben müssen, erfahren wir die blanke Panik vor dem möglichen Gagenverlust an der Person des ersten Geigers Warren Boyd. Bei einer Mexikotournee versucht dieser seine wertvolle Violine „zu verlieren“, um die Versicherungssumme zu kassieren. Das ist einer der Momente, bei denen Rodrigo erkennt, was ihm seine neue Familie wirklich bedeutet und er wird im Laufe der Staffel drei Opfer bringen.

Das erste ist die vollzogene Scheidung von seiner Frau Ana Maria (Nora Arnezeder), der er im Finale der letzten Staffel schon das Orchester vorzog. Die zweite ist die Enttäuschung seines alten Lehrmeisters (Emilio Echevarría), der ihn bittet, das Jugendorchester in seiner Heimat zu übernehmen. Rodrigo ist aber nicht bereit, sich in der musikalischen Provinz niederzulassen und bricht seinem alten Lehrer das Herz. Am Ende opfert er sich, um den inzwischen in einen schmutzigen PR-Krieg entglittenen Arbeitskampf zu beenden. Nachdem sein Gehör weiterhin nicht funktioniert, sind die drei Jahre Berufsverbot, die er akzeptiert zwar nicht ganz so ein großes Opfer, aber es kommt letztendlich sowieso nicht dazu. Der konservative Vorstand Biben (Brennan Brown) scheitert mit seinem Putschversuch an Gloria, die mit der Unterstützung des jungen Wall-Street-Yuppies Eric (Aaron Moten) die Absetzung Rodrigos verhindert, gleichzeitig aber eiskalt auch die Musiker aussperrt.

Bernal und McDowell im Morphsuit

Bleibt noch „Hai Lai“, die für Rodrigo endlich den perfekten Mate-Assistenten findet und somit ihre Zeit auch nicht mehr im dunklen Hinterzimmer verbringen muss. Ihre gestörte Mentor-Schüler-Beziehung mit Betty (Debra Monk) erreicht einen neuen hasserfüllten Höhepunkt und sie lernt jede Menge neue Leute kennen, darunter auch Eric. Dass er für ihren Jobverlust mitverantwortlich ist, weiß sie am Ende noch nicht. Haleys eigentlicher Freund, der Tänzer Alex, wird ihr aus dem Weg geschrieben, in dem er eine Reality Show für Tänzer absolviert. Das lässt sie einen lustigen Abend mit Joshua Bell und Lang Lang und eine Nacht mit dem Cellisten Andrew Walsh (Dermot Mulroney) verbringen. Als dieser bei einem Motion-Capture-Termin – eine herrliche Szene, mit Bernal, Mulroney und McDowell im Morphsuit – Nacktfotos von Haley herzeigt, rastet Rodrigo aus und Thomas steht seinem „Hermano“ bei.

Dass es zwischen den beiden großen Maestros noch nicht wirklich gekracht hat, ist eine der besseren Entscheidungen der Autoren. Rodrigo ist zwar anstrengend, aber selbst der harte Altmeister kann ihm nicht böse sein. Außerdem bringt der junge Dirigent seinem Vorgänger seit Folge eins nichts als Respekt entgegen, was Thomas dazu veranlasst, es doch einmal mit dem Komponieren zu versuchen und seine Wiedereinsetzung nicht aktiv verfolgt. Trotzdem ist er am Ende glücklich und willig, als er glaubt, seinen alten Posten wieder übernehmen zu dürfen.

Walsh (Dermot Mulroney) und Thomas Pembridge (Malcolm McDowell) haben ihre ganz eigenen Probleme mit ihrem Genie und ihrem Wahnsinn; Foto: Amazon Studios/Ali Goldstein
Walsh (Dermot Mulroney) und Thomas Pembridge (Malcolm McDowell) haben ihre ganz eigenen Probleme mit ihrem Genie und ihrem Wahnsinn; Foto: Amazon Studios/Ali Goldstein

„Mozart in the Jungle“ ist nicht der riesengroße Wurf, der ist bei Amazon aber auch noch nicht in Sicht. Vom Potenzial her kann das aber eine langlebige Serie werden, weil man kaum was falsch macht und niemandem weh tut. Zusätzlich, das kann ich aber nicht fachlich beurteilen, versucht man ein gänzlich neues (klassikinteressiertes) Zielpublikum anzusprechen und bei überzeugenden Zahlen auch weiterhin mit Content zu bedienen. Oder ein Publikum von Leuten wie mich, die wie erwähnt zwar keine snobistische Abscheu vor Rezeptserien haben, aber gerne in ihnen unbekannte Milieus und Settings eintauchen.

Für das Argument der Langlebigkeit spricht auch der Cast. McDowell hat seine besten Jahre hinter sich, ist aber immer noch ein absolutes Vergnügen und passt perfekt auf die Rolle des ehemals genialen Dirigenten, der mit seiner immensen Erfahrung auch im konservativen Symphonie-System zurechtkommt. Das hat er Rodrigo voraus, dessen Darsteller Gael García Bernal vermutlich am ehesten Gefahr läuft, für höhere Hollywood-Weihen berufen zu werden. Bei den Damen hat die immer entzückende Bernadette Peters ihre besten Broadway-Zeiten ebenfalls schon hinter sich, scheint sich aber im musikaffinen Fernsehen pudelwohl zu fühlen (was man schon in „Smash“ sehen konnte). Lola Kirke trägt die Serie mit unglaublich viel Charme und darf hoffentlich in der nächsten Staffel, jetzt wo Haley endgültig ihre Naivität abgelegt zu haben scheint, mehr tun als die Assistentin des Maestros und die Fünftbesetzung in der Oboensektion zu spielen.

Was haltet ihr von der Serie?

Weitere Meinung: Marcus‘ Kritik zur ersten Staffel.

3 comments

  1. Eine Anmerkung zu dieser Serie möchte ich, bei gleichzeitiger Anerkennung von dem, was in der Rezension zurecht als gut beurteilt wird, noch loswerden. Als jemand, der privat auch mit klassischer Musik zutun hat ist es mir ein Graus zu sehen, wie falsch und lieblos dieses Grundthema hier dargestellt wird. Die ganze Serie handelt von Menschen, die sich beruflich mit klassischer Musik beschäftigen und ich möchte doch einmal behaupten, dass in der Realität die meisten Überzeugungstäter sind. Wenn man von dem Gerede des Maestros einmal absieht (und da steckt letztlich auch nicht viel hinter), dann scheinen sich die Orchestermitglieder aber ausschließlich mit Gewerkschaftsfragen, Sport und was weiß ich zu beschäftigen. Das Spielen scheint reiner Broterwerb zu sein.

    Und erst die Darstellung der eigentlichen Probearbeit: Wirklich in ganz vielen Aspekten falsch dargestellt. Ich könnte das auch im Detail auflisten, dafür müsste ich mir aber noch ne Folge ansehen.

    Kurzum: Die Faszination für die Musik kommt für mich in keinem Augenblick rüber. Für eine Serie über klassische Musik ist das einfach schade und für mich ärgerlich. Andere Aspekte des Musikgeschäfts sind dabei übrigens überzeichnet (das darf die Serie ja) aber doch besser dargestellt.

      1. Naja. Ich formuliere es mal so: Wenn es um ein solches Spitzenorchester geht, dann würde ich erwarten, dass sich deren Mitglieder auch dafür interessieren, was sie eigentlich da spielen. In der Serie ist es so, dass ein oder zwei klassische Musikstück pro Folge auftauchen und gespielt werden, aber wenn man mal von der Nennung von Komponist und Werktitel absieht, wird darauf eigentlich nicht mehr eingegangen. Die Musiker unterhalten sich über andere Dinge. Nie wird mal gesagt, dass man das gerade geprobte Stück gut oder schlecht findet. Auch was die Leistung des Orchester angeht, wird wenig gesagt. Bei einem echten Orchester würden da sicherlich ein paar der Musiker schon einmal etwas auszusetzen haben oder Verbesserungsvorschläge einbringen. Und der „Maestro“ oder auch Hailey tragen da wie gesagt auch nichts zu bei.

        Es wird so getan, als müsste das Orchester nur mal in einen Hinterhof gehen und dort musizieren, um besser zu werden und ich will ja gar nicht sagen, dass das zu nichts nütze sein könnte – aber dieser Prozess, die Arbeit / Beschäftigung mit der Musik, der findet einfach nicht statt. Er ist insofern auch nicht im Hintergrund, sondern ist nicht da. Im Grunde ist Mozart in the Jungle eine ganz witzige Serie, in der es (wie immer) um die zwischenmenschlichen Beziehungen verschiedener Charaktere geht. Das Umfeld eines Spitzenorchester ist das Umfeld, dass man eben auch dafür benötigt.

        Ich würde sagen, dass es sehr sehr schwierig ist, das Thema wirklich gut in einer Serie darzustellen, da es nicht so leicht zugänglich wie andere Themen, wie das Krankenhaus, die Polizeiarbeit oder auch die Arbeit in einer Werbeagentur. Die meisten wissen wahrscheinlich noch nicht mal, worauf dabei ankommt. Aber dann hätte man sich vielleicht doch dazu entscheiden sollen, das Thema nicht anzupacken 😉

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