Schon knapp zehn Jahre, bevor Caroline Dhavernas eine feste Rolle in Bryan Fullers „Hannibal“-Bearbeitung bekam, arbeiteten die Beiden zusammen an einer der charmantesten Serien modernen Stils. FOX sah das 2004 leider nicht so und setzte sie schon nach vier Folgen wieder ab. Alle 13 abgedrehten liegen aber zum Glück auf DVD vor.
Was würden Sie machen, wenn eines Tages eigentlich unbelebte Tierfiguren (Stofftiere, Milchspender oder Vorgartenflamingos) zu Ihnen sprechen und eher kryptische Anweisungen erteilen würden, etwa „Bring her home!“ oder „Girl needs a boy!“? Wahrscheinlich die Medikamente wechseln oder einen Arzt aufsuchen. Genau das passiert eines schönen Tages der 24-jährigen Jaye Tyler, die trotz abgeschlossenen Philosophie-Studiums als Verkäuferin in einem Souvenirladen in ihrem beschaulichen Geburtsort Niagara Falls im Bundesstaat New York arbeitet. Auch sonst ist die jüngste Tochter der Tylers das schwarze Schaf der Familie, die ansonsten überwiegend aus erfolgsverwöhnten Republikanern besteht: Jaye hingegen hat eher einen Hippie-Lifestyle, ist aber trotzdem mehr sarkastisch als menschenliebend und lebt in einem Trailerpark; so richtig weiß sie nicht, wo sie mit ihrem Leben hin will. Bis als erstes ein Wachslöwe aus dem Automaten mit Produktionsfehler (zerknautschtem Gesicht) mit ihr zu sprechen beginnt. Schon bald merkt Jaye, dass sie, wenn sie versucht, den mysteriösen Anweisungen zu folgen, einen positiven Einfluss auf das Leben ihrer Mitmenschen ausübt. Die Frage bleibt trotzdem bestehen: Spricht Gott oder das Universum selbst durch die Tierfiguren zu ihr – oder ist sie einfach nur verrückt?
Bryan Fuller ist schon seit seiner ersten selbst entwickelten Serie „Dead Like Me“ bekannt für skurrile Konzepte, die irgendwo zwischen unserer alltäglichen Realität und einer Märchen-Fantasy-Welt angesiedelt sind. Hier ist es nicht der Tod, der das Leben der Protagonistin aus der Bahn wirft und in eine ganz neue Richtung lenkt, sondern anscheinend das Schicksal, das ihr zwar sagt, was es will – aber sich dabei leider nicht besonders deutlich ausdrückt. So haben die Aufforderungen am Ende der Episoden oft etwas ganz anderes bedeutet, als Jaye und die Zuschauer am Anfang gedacht hatten. Aber ebenso wie die zynisch-antriebslose Georgia Less, die schon mit 18 Jahren zum Seelensammler geworden ist, entdeckt auch die ambitionslose Jaye durch ihre neue Aufgabe mit der Zeit zunehmend, wie schön das Leben eigentlich sein kann, wenn man sich auf andere Menschen einlässt.
Das vermittelt die Serie aber nie mit dem Holzhammer, sondern auf unglaublich witzige und charmante Weise. Selten habe ich eine so sympathische Hauptfigur gesehen wie Jaye Tyler, die die Franko-Kanadierin Dhavernas großartig verkörpert. Vielleicht liegt es auch nur an meiner eigenen Lebenssituation und meinem Lebenslauf, dass ich mich mit dieser Figur so gut identifizieren kann. Immer wieder stellt sie aber auch (meist unausgesprochen) die Frage: Was ist eigentlich falsch daran, in einem liebevoll eingerichteten Wohnwagen zu leben, jeden Abend in der gleichen Bar abzuhängen (wo zudem die beste Freundin und der große Schwarm arbeiten) und nur bei den liebevoll-dominanten Eltern aufzutauchen, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt? Diese Eltern und die beiden älteren Geschwister sind zwar unglaublich skurril, aber im Grunde ebenso wahnsinnig sympathisch. Und wer wünscht sich nicht einen großen Bruder, der zwar Vergleichende Religionswissenschaft studiert hat, aber trotzdem überzeugter Atheist ist (vom jungen Lee Pace, noch vor seiner Hauptrolle in Fullers „Pushing Daisies“, hinreißend gespielt) – zumindest, bis er erfährt, dass die Tiere mit seiner Schwester sprechen?
Hinzu kommen dann noch Tracie Thoms als schlagfertige Freundin Mahandra und Tyron Leitso als Eric, der süße Typ, der auf seiner Hochzeitsreise zu den Niagarafällen im Ort hängengeblieben ist, weil seine Braut ihn gleich mit dem Hotelboy betrogen hat. Die On-/Off-Liebesbeziehung zwischen Jaye und Tyler bildet einen der folgenübergreifenden Handlungsbögen der Staffel und wen dieses langsame Annähern (und wieder Abstoßen) zweier verletzter Seelen nicht rührt, der hat wahrscheinlich kein Herz. Ein weiterer großer Charmefaktor der Serie sind die Tierfiguren, die teilweise zur echten Wohnungsausstattung der Produzenten gehörten, bevor sie Eingang in die Welt der Tylers gefunden haben. Mein Favorit: der „Cow Creamer“, ein Milchspender in Kuhform. Wäre die Serie ein Erfolg geworden, hätte das großartige Merchandisemöglichkeiten eröffnet.
Stilistisch ist „Wonderfalls“ ganz und gar Fuller (obwohl er die Serie gemeinsam mit Todd Holland erfunden hat, der auch fünf Folgen inszenierte): Das beginnt mit dem schrulligen Titelsong und setzt sich über typische Stilmittel wie Zeitraffer und altmodische Blenden fort. Außerdem beginnt gleich die Pilotfolge mit einem Off-Erzähler, der im Schnelldurchgang die Geschichte des Ortes erzählt, anders als in „Dead Like Me“ und „Pushing Daisies“ bleibt das aber auf diesen einmaligen Einsatz beschränkt. Insgesamt ist die Welt von „Wonderfalls“ wie immer bei Fuller bunt und detailverliebt, aber nicht so zuckersüß wie in der Tortenbäckerei (und nicht so traurig wie das „Leben“ der Grim Reaper).
Nach 13 Folgen ist leider schon wieder Schluss mit diesem kleinen Meisterwerk, weil FOX wohl der falsche Sender zur falschen Zeit war (er zeigte überhaupt nur vier, die anderen sind lediglich auf DVD erschienen). In dieser kurzen Staffel probieren sich Fuller, Holland & Co. allerdings an einer ziemlichen Bandbreite verschiedener Genres, vom Crime Noir über den Psycho-Thriller bis zur esoterischen Indianergeschichte. Richtig schlecht ist keine der Folgen, einige sind ganz und gar großartig und am Ende führen die Autoren sogar noch fast alle Fäden zu einem schnellen, aber runden Ende. Nur wer jetzt eigentlich durch die Tierfiguren gesprochen hat, erfahren wir natürlich nie. Aber eines lässt sich wohl sagen: Satan war es bestimmt nicht.
Die einzige Staffel liegt lediglich als Import-DVD-Box von 20th Century Fox vor. Diese „Complete Viewer Collection“ ist allerdings sehr schön aufgemacht und enthält neben zwei Features und einem Musikvideo auch sechs Audiokommentare mit Fuller, Holland und den beiden Hauptdarstellerinnen.