Bevor im Winter Staffel 3 im Fernsehen anrollen soll, strahlt der ORF zuvor noch einmal die ersten beiden aus. Diese Woche halten ein suizidgefährdeter junger Mann und ein wilder Indianer die Cops auf Trab.
Im Grunde ist der Fall rund um den wilden Indianer („Native American“) ein trojanisches Pferd: Was von außen aufgrund der exotischen Thematik ganz interessant klingt, ist innendrin in Wirklichkeit hohl. Offensichtlich existierte zuerst die Idee des Indianers, in die im Nachhinein eine fadenscheinige Charaktermotivation eingeflößt wurde, denn wasserdicht ist die Geschichte um den enttäuschten Indianercampleiter nicht. Die Verfolgungsjagd per Fahrrad ist ganz witzig, auch wenn Sylvesters Schlag gegen den Mann reichlich unmotiviert wirkt.
Dabei ist „Dillo“ ansonsten eine deutliche Steigerung von der Vorfolge, was sich insbesondere dadurch zeigt, dass die Folge deutlich stärker an den Innenleben der Cops interessiert ist als „Nackerpatzl“ . Das führt dazu, dass beinah sämtliche Fälle dieser Folge mehr sind als bloß Geschichten über Figuren, denen wir nur eine Episode lang begegnen; wenn die Polizisten aus der Kreitnergasse nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herz im Fall involviert sind, ist es auch als Zuseher gleich nochmal um eine Ecke involvierender.
Beim suizidgefährdeten Said ist das zum Beispiel der Fall: Zwar tritt er erstens nur kurzfristig in Erscheinung, bevor wir ihn nie wieder sehen, zweitens kennen wir ihn nicht gut genug, um uns für sein Schicksal allzu sehr zu interessieren, und drittens ist es auch nicht gerade der am überzeugendsten dargestellte Fall – sein Mitarbeiter behauptet zwar, er würde merkwürdig reden und „herumtun“, was auf seine Homosexualität hinweisen sollte, doch bei der Begegnung mit Said ist davon nicht wirklich eine Spur.
Eine der interessantesten Figuren
Trotzdem handelt es sich dabei um einen sehr involvierenden Fall, und der Grund hat einen Namen: Lukas. Der zeigt eine Empathie, die er bislang nicht immer gezeigt hatte (etwa bei der Drogenabhängigen, die in Folge 2 unabsichtlich seine Operation Obradovic gestürzt hatte), während er gleichzeitig seiner knallharten Verhandlungsstrategie treu bleibt: „Wenn du zu feig bist zu sagen, dass du schwul bist, dann musst du jetzt springen. Komm!“ Lukas geht in solchen Situationen häufig aufs Ganze – in der Vorfolge ging das beim Engel schief, in dieser Episode geht es (mit der perfekten Musik unterlegt und dank der Zeitlupe überraschend spannend) gut. Dieser Widerspruch zwischen Einfühlsamkeit und Kalkuliertheit macht Lukas zu einer der interessantesten Figuren von „CopStories“.
Und man muss da die Serie auch einfach dafür loben, wie gekonnt sie die Charakterenthüllung bei Lukas in die Länge zieht. Es wird nie explizit ausgesprochen, klang jedoch schon mehrmals ein wenig im Subtext mit und wird hier im Gesicht Serge Falcks doch recht deutlich gesagt: Lukas kann Saids Leidensstrecke deshalb nachvollziehen, weil er selber schwul ist. Als Said fragt, ob man auch nichts sagen könne, antwortet ihm Lukas, dass das geht – und spricht mit stark blinzelnden Augen natürlich von der eigenen Geschichte. Lukas ist auch sonst immer wortgewandt gewesen, aber hier kleidet er die Konflikte, die in Homosexuellen vorgehen, in besonders schmucke Worte. Wichtig ist, dass „CopStories“ dabei nicht zu dick aufträgt: an manchen Zusehern mag seine Homosexualität in dieser Episode unbemerkt vorbeiziehen, und auch das ist okay, weil die Geschichte auch ohne diese Information funktioniert.
Ein zweiter großer Fokus wird auf Sylvester gelegt, der in „Dillo“ ganz schön viel zu tun bekommt: einerseits lacht er sich durch die halbe Episode, zankt sich dann mit Tina (mit absolut perfektem Timing: „Zicke!“ – „Nazi!“), redet mit Flo über seine Vergangenheit und widmet sich schließlich dem Fall von Dani Eberharter, der seinen letzten Tag bei seiner Mutter verbringt. Wie oben angemerkt ist sein aggressives Verhalten beim Native American leicht befremdlich, und sein Geständnis über seine Vergangenheit wirkt nicht gänzlich schlüssig motiviert, insgesamt wird die Folge seiner Figur aber mehr als gerecht.
Es ist immer spannend, wenn einer Figur die Spucke wegbleibt, weil sie etwas über ihr eigenes Verhalten erfährt, und Sylvester passiert das gleich mehrmals in dieser Folge. Als bei einer Ruhestörung explizit Florian verlangt wird, bläst Sylvester diesen Wunsch in den Wind – ist ja nur eine lächerliche Lärmbelästigung. Verständnislos verdreht er dann die Augen, als er Dani sieht. Er wünscht sich plötzlich, dass er Florian geschickt hätte, aber nicht etwa, weil das Dani gefreut hätte und/oder er eine kompromissreichere Lösung gesucht hätte, sondern weil Sylvester der Umgang mit Dani nicht liegt.
Der Tag hinterlässt schon vor Sonnenuntergang seine Spuren in Sylvester, und Tina komplimentiert ihn ausnahmsweise. Es wäre nicht Sylvester, wenn er nicht (eigentlich ziemlich unprofessionell) seine Arbeitskollegin vergeblich um ein Date bäte, die Chemie stimmt aber zwischen den Beiden – was sich neckt, das liebt sich. Später steht ihm dann aber wieder das Schrecken ins Gesicht geschrieben, als er sieht, wie die Frau Eberhardt vor ihrem toten Jungen sitzt. Vor seinen Augen hatte sich eine Tragödie abgespielt, und er hatte es nicht mitbekommen. Natürlich ist er nicht schuld, und trotzdem wird er wohl in solch einer Situation nicht das Gefühl loswerden können, dass er was hätte tun können, um den Verlauf der Geschichte zu ändern. Und das Ganze lässt noch die Frage außer Acht, inwiefern die Tat der Frau Eberhardt vertretbar oder verständlich ist – schlussendlich darf das Leben Danis aber doch nur in dessen eigenen Händen liegen, ob geistig minderbemittelt oder nicht.
Auch der Eberts-Handlungsstrang nimmt hier an Fahrt auf, weil Dr. Michaelis erstmals mehr ist als bloß eine Zaungästin, sondern direkt in einen Fall involviert ist. Auch hier wird eine der wiederkehrenden Figuren mit ihrer Grundhaltung konfrontiert, und auch hier ist das Ergebnis sehr ansprechend. „Sicher Einheimische“, witzelt Eberts, und trifft dabei die Sache auf den Punkt: Er arbeitet zwar mit Vorurteilen, aber wenn sie bestätigt werden, muss man fast zugeben: zurecht, oder? Bis spät in die Nacht sitzen die beiden dann im Polizeipräsidium und suchen die Verdächtigen auf Polizeifotos – das zeigt, dass sich die beiden mittlerweile schon ziemlich gut verstehen.
Dann ist da noch die Altan-Storyline, die in dieser Folge nur am Rande mit Dogan zu tun hat – Milce wird als Parallele zu Altan eingeführt, und Bergfeld rät Altan vom Abwarten und Teetrinken in Sachen Dogan ab, aber davon abgesehen muss die Milce-Geschichte in dieser Episode auf eigenen Beinen stehen. Das tut sie bloß mit wackeligen: Während einzelne Momente durchaus ansprechend sind (Bergfelds lächelnder Handschüttler auf die Frage, ob die Aktion legal sei, oder Altans klagender Blick auf seinen durchlöcherten BMW), krankt dieser Handlungsstrang am konsequenten Ignorieren der „show, don’t tell“-Regel der Dramaturgie: die ganze Vorgeschichte rund um Milce und Vuk kommt überhaupt nicht an, weil wir das alles bloß aus zweiter Hand erfahren – Folge für Folge entsteht der Eindruck, dass die Köpfe hinter „CopStories“ die Gespräche der Teaser für interessant und spannend halten.
Dass dieser Fall so sehr auf Dialoge über unbekannte Figuren setzt, ist einerseits deshalb schade, weil es ihn damit in Wirklichkeit auf eine Actionszene reduziert – die zudem nicht wirklich logisch ist: Warum brausen die Schützen nach einer einzigen Salve einfach wieder davon? Sie hatten ja sicherlich gesehen, dass bewaffnete Polizisten auf diesem leicht einsehbaren Platz warten. Andererseits fühlen sich alle Aspekte dieses Falls an, als ob wir diesen Figuren schon einmal begegnet hätten sein sollen – so aber ist es emotional völlig irrelevant, ob Milce überlebt oder nicht, weil wir die Beziehung zu Bergfeld einfach nicht kennen oder nachvollziehen können – und leider bauen die Autoren – zumindest nach zwei Staffeln – auch nie wieder darauf auf. Schade um eine spannende Szene, die, wie Johannes Zeiler (Bergfeld) verzweifelt zu verkaufen versucht, viel mehr hätte bedeuten können.
Unterm Strich bleibt „Dillo“ allerdings eine Folge, bei der die positiven Seiten überwiegen, insbesondere was die Akzentuierung der Figuren anbelangt. Der Altan-Handlungsstrang ist zwar nur ein klein wenig nach vorne getreten – traut Dogan Altan überhaupt? Sein Sinneswandel ist schon sehr verdächtig – aber wenn „CopStories“ weiterhin so geschickt mit seinen Figuren umgeht wie in dieser Episode mit Sylvester und Lukas, dann soll uns das Recht sein.
„CopStories“ Staffeln 1 und 2 werden seit dem 7. Juli jeden fußballfreien Dienstag um 21.05 Uhr auf ORFeins ausgestrahlt. Danach sind die Folgen jeweils für sieben Tage in der ORF-TVthek (auch europaweit) verfügbar. Beide Staffeln sind als DVD erhältlich.
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