Eine Ohrfeige als Auslöser einer Familienkrise: Die australische Serie erzählt von den Sorgen und Zweifeln einer Gruppe von Um-die-40-Jährigen, ihren Eltern und Liebhabern. Dabei bedient sie sich eines interessanten Konzepts, bei dem sich acht kleine Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Diese Woche startet die Romanverfilmung auf arte.
Manchmal kann ein einziger Augenblick, eine kleine unüberlegte Handlung, eine Kettenreaktion auslösen, das Leben einer ganzen Gruppe von Menschen aus der Bahn werfen. In dem Roman „Nur eine Ohrfeige“ von Christos Tsiolkas und der darauf basierenden australischen TV-Serie „The Slap“ ist es der titelgebende Schlag ins Gesicht eines kleinen Jungen, der droht, eine Familie zu spalten und einen Freundeskreis gegeneinander aufzubringen.
Hector (Jonathan Lapaglia) hat von Anfang an kein gutes Gefühl, als er an seinem 40. Geburtstag aufsteht. Ein solcher runder Geburtstag ist natürlich immer ein perfekter Anlass für einen Schub Midlife-Crisis, und dass seine Ehefrau Aisha (Sophie Okonedo) darauf bestand, gegen seinen Willen eine große Party mit Familie und Freunden zu organisieren, trägt nicht unbedingt zu Hectors Entspannung bei. Am Abend geht dann auch tatsächlich so ziemlich alles schief, was nur schief gehen kann: Die griechischen Eltern stoßen Aisha mit dem Geschenk einer gemeinsamen Griechenland-Reise vor den Kopf, da sie und Hector schon einen Urlaub gebucht haben, um ihren Hochzeitstag zu feiern. Seine heimliche Geliebte, die Babysitterin Connie, macht ihm im Beisein seiner Frau schöne Augen und Hugo, der verzogene Sohn des befreundeten Paars Rosie und Gary, terrorisiert Erwachsene wie andere Kinder gleichermaßen. Als der auch noch voller Wut die Gleichaltrigen mit einem Cricket-Schläger bedroht, sieht Hectors egozentrischer Cousin Harry Rot und verpasst dem Bengel eine schallende Ohrfeige. Das bringt wiederum Hugos Mutter Rosie zur Weißglut, die darin einen Akt von Kindesmisshandlung sieht und droht, die Polizei einzuschalten, bevor sie überstürzt die Party verlässt.
Eine Hauptfigur pro Folge
Die nun folgenden polizeilichen Ermittlungen treiben einen Keil zwischen die Partygäste: Während die einen Rosie unterstützen, weigern sich andere, gegen Harry auszusagen. Und der selbst sieht seine mühsam aufgebaute Oberschichtsexistenz mit eigener Autowerkstatt, Luxushaus in einer wohlhabenden Wohngegend, schnellen Autos, Koks und Geliebter durch ein mögliches Gerichtsurteil gefährdet – haben die Nachbarn doch schon immer naserümpfend auf den Sohn griechischer Einwanderer geschaut. Bald stehen sich Ehepartner, Verwandte und beste Freunde auf gegnerischen Seiten gegenüber und ganz nebenbei bringt der Vorfall auch verdrängte Vorwürfe und Konflikte wieder auf die Tagesordnung.
Ähnlich wie in Edgar Reitz‘ „Die Zweite Heimat“ oder der britischen Teenagerserie „Skins“ bedient sich die Serie eines innovativen Erzählkonzepts, bei dem in jeder Episode eine andere Figur im Mittelpunkt steht. Dabei werden Nebencharaktere für eine Folge zu Hauptfiguren, in dessen Alltag und Sorgen wir tiefer eintauchen. In der zweiten Folge ist es Rosies Schwester Anouk (Essie Davis), die ebenfalls eine Midlife-Crisis durchlebt: Sie muss sich eingestehen, dass sich ihre Träume nicht erfüllt haben, ist sie doch keine Romanschriftstellerin geworden, sondern lediglich Autorin bei einer Soap. Ihren Freundinnen fühlt sie sich entfremdet, weil sie als Einzige keine Kinder hat.
Universelle Probleme
In Episode 3 rückt der Übeltäter Harry in den Mittelpunkt. Der entpuppt sich zwar schnell als arrogantes Arschloch, das seine Aggressionen nur mühsam im Zaum halten kann. Dennoch kann wohl fast jeder Zuschauer seinen Ausrutscher auf der Party nachvollziehen. Damit werfen die Autoren die moralisch durchaus verzwickte Frage auf, ob es in bestimmten Situationen gerechtfertigt sein kann, ein Kind zu schlagen. Eine einfache Antwort, eine klare Verteilung von Gut und Böse, liefern sie zum Glück nicht. In den weiteren Folgen geraten auch noch Angehörige anderer Generationen wie Hectors Vater Manolis und die Babysitterin Connie ins Zentrum.
Australische Serien sind höchst selten im deutschen Fernsehen zu sehen. Da fällt schon auf, dass Harry ausgerechnet von Alex Dimitriades gespielt wird, dem Nick aus der High-School-Serie „Heartbreak High“, die in den 90ern auch bei uns im Nachmittagsprogramm von ZDF und Sat.1 gezeigt wurde. Das bekannteste Gesicht unter den durchweg überzeugenden Darstellern dürfte aber Melissa George als Rosie sein, die man aus US-Serien wie „Grey’s Anatomy“ und „Alias“ kennt oder als Patientin in der ersten „In Treatment“-Staffel. Dass „The Slap“ eine australische Serie ist, merkt man nur an den Palmen auf den Straßen oder daran, dass alle ständig in Sommerhemden ohne Unterhemd herumlaufen oder gleich im Bikini. Ansonsten sind die Geschichte und die Probleme der Protagonisten universell für westliche Gesellschaften: Wohlstandmüdigkeit, geplatzte Träume, die Angst, etwas verpasst zu haben.
Ein Gesellschaftsporträt im Kleinen
Auch stilistisch und formal orientiert sich die Serie an internationalen Vorbildern: mit ihrem ausufernden Ensemble, offensiver Nacktheit und expliziten Sexszenen würde sie bruchlos etwa auch ins Repertoire von HBO passen. Beim Produktionsniveau braucht sich die Australian Broadcasting Corporation (ABC) nicht vor den US-Kabelsendern zu verstecken. Darüber hinaus wird die Serie vor allem dadurch interessant, dass sie neben der übergreifenden Haupthandlung noch eine ganze Reihe anderer Geschichten erzählt: in jeder Folge mindestens eine. So unterschiedlich wie die einzelnen Charaktere sind auch ihre Geschichten und so könnte jede Folge auch für sich stehen und einen eigenen Film abgeben. Dadurch, dass alle Protagonisten miteinander verbunden sind, ergibt sich aber nach und nach ein größeres Panorama, eine Art Gesellschaftsporträt im Kleinen. Wobei die porträtierte Gesellschaft zum Teil auch durch ihre unterschiedlichen ethnischen Hintergründe geprägt wird, durch die Migrationserfahrung von Hectors Eltern, die Aufstiegsbemühungen der zweiten Generation und die multiethnische Ehe von Hector und Aisha.
Mit „The Slap“ beweist arte einmal mehr, dass hervorragende TV-Serien längst nicht mehr ausschließlich aus den USA kommen. Auch eher kleinere Fernsehnationen wie Australien haben von HBO & Co. ihre Lektionen gelernt und bieten diesen mit Mut, Innovationskraft und guten Autoren Paroli.
„The Slap“ läuft ab dem 5. September donnerstags um 20 Uhr 15 in Doppelfolgen auf arte.
Ich kann die Serie jedem, der dabei zusehen will, wie ein „kleiner“ Vorfall zum Zerfall mühsam aufgebauter sozialer Strukturen führt, nur wärmstens ans Herz legen.
„The Slap“ ist wunderbar naturalistisch und in gesättigten Farben gefilmt, ohne dabei aber wie eine Dokumentation zu wirken. Der Cast ist einfach nur überragend und stellt so manche Qualitätsserie aus den USA locker in den Schatten. Jonathan La Paglia, den man hierzulande aus „Seven Days“ kennt, ist das heimliche Zentrum der Story und zeigt, was für ein vielseitiger und versierter Schauspieler er ist. Schon sein erfolgloser Masturbationsversuch in der ersten Folge ist eine höchst mutige Szene und unterläuft seinen bisherigen Rollentypus komplett.
Ein weiterer großer Pluspunkt der Serie ist, dass hier Zuwanderer und ihre Nachkommen nicht als Sklaven ihres jeweils eigenen spezifischen kulturellen Hintergrunds, sondern aus völlig „normale“ Menschen mit den banalsten Allerweltsproblemen gezeigt werden. Von dieser undogmatischen Unbefangenheit ist Deutschlands Film- und Fernsehwelt Lichtjahre entfernt.
Abstriche gibt es leider bei der (bemüht künstlichen) Dramaturgisierung der Lebensumstände der einzelnen Figuren. Nicht alle Probleme der einzelnen Figuren, die ab der zweiten Folge ver- und behandelt werden, haben direkt etwas mit dem Slap zu tun und sind gleichermaßen interessant. Sie wirken dadurch etwas beliebig und austauschbar, was diesbezügliche Sequenzen auch deutlich zäher wirken lässt als jene, in denen es tatsächlich um die Folgen der Ohrfeige geht. Das nimmt dem ansonsten klugen Konzept unnötig die Wucht.
Nichtsdestotrotz ist „The Slap“ für alle Freunde von Qualitätsserien nur zum empfehlen. Schöner wäre natürlich ein Zweikanalton mit Untertiteln gewesen. Vermutlich wird viel von der ursprünglichen Atmosphäre flöten gehen.