Normalerweise lösen alle Serien, die Branchenprimus HBO startet, fast automatisch einen Hype aus. Über die vor vier Wochen ins Programm genommene Comedy „Family Tree“ liest man in den einschlägigen Foren hingegen erstaunlich wenig. Was ist von der Koproduktion mit der BBC zu halten?
Was braucht man für eine neue Comedyserie? Man nehme: einen 30-jährigen Slacker, der nicht so recht weiß, wohin mit seinem Leben; seinen besten Freund, einen nervigen Freak; seine Schwester, die nirgendwo ohne ihre Handpuppe hingeht (einen Affen, durch den sie ungefiltert ihre Gedanken ausdrücken kann); und schließlich den Vater, der den ganzen Tag alte Sitcoms guckt, die nur er lustig findet. Fertig ist das Comedyformat! Das dachten sich anscheinend zumindest die Verantwortlichen bei HBO und der BBC, die „Family Tree“ in Auftrag gegeben haben.
Tom Chadwick (Chris O’Dowd ) ist gerade von seiner Freundin verlassen worden und hat zudem auch noch seinen Job verloren. Während er noch Trübsaal bläst, hat sein Vater ihm und seiner Schwester Bea (Nina Conti) eine dringende Mitteilung zu machen. Der versammelten Familie eröffnet Vater Keith (Michael McKean), dass eine Großtante gestorben ist – die Tom und Bea überhaupt nie kennengelernt haben. Die geheuchelte Anteilnahme ist schnell verflogen, denn sie hat Tom etwas hinterlassen: eine Truhe mit Erinnerungsstücken. Darin findet dieser unter anderem ein altes Foto eines Mannes in stattlicher Uniform, den er für seinen Urgroßvater hält. Mit Hilfe des Antiquitätenhändlers Mr. Pfister (Ko-Serienschöpfer Jim Piddock) und einem skurrilen Experten für historische Photographien begibt sich Tom auf die Suche nach seinen familiären Wurzeln – und entdeckt dabei wohlgehütete Geheimnisse und unerwartete Lebensläufe.
Alles andere als auf Pointe geschrieben
Das klingt zunächst alles nicht reizlos, aber auch nicht gerade nach einem Stoff, der danach schreit, eine Fernsehserie daraus zu machen. Christopher Guest („This is Spinal Tap“) und Jim Piddock meinten jedoch, genau das tun zu müssen. Die BBC und US-Kultseriensender HBO fungierten als Produzenten, wobei erstere den größeren Einfluss gehabt zu haben scheinen, zumindest wirkt das Ergebnis wie eine durch und durch britische Serie: Die ersten vier Folgen spielen in London und Umgebung, die Besetzung besteht überwiegend aus Briten (und dem Iren O’Dowd als Hauptdarsteller), Tonfall und Humor sind typisch britisch. Allerdings brechen die „Helden“ in den späteren Folgen noch in die USA auf, denn es stellt sich heraus, dass die Chadwicks auch amerikanische Vorfahren hatten.
Der Begriff Comedy ist bei den Produktionen von HBO und seinem Pay-TV-Konkurrenten Showtime ohnehin sehr dehnbar, sind doch unter diesem Label verkaufte Serien wie „Girls“ oder „The Big C“ oftmals nicht witzig im klassischen Sinn und enthalten mindestens ebenso starke dramatische Elemente. Auch „Family Tree“ ist alles andere als auf Pointe geschrieben. Ein Problem ist jedoch, dass die Dialoge hier noch weniger zum Lachen einladen und nur selten zum Schmunzeln. Das größere Problem ist, dass die Ausgangssituation auch kein besonderes dramatisches Potential birgt. Autor und Regisseur Guest und sein Partner Piddock erzählen die (Sinn-)Suche ihres Protagonisten als Mischung aus gefaketem dokumentarischem Material wie Fotos und Schwarzweiß-Filmen (sowie Szenen aus ebenfalls fiktiven Sitcoms), „normalen“ Dialogszenen und Mockumentary-Einschüben. In letzteren sprechen die Figuren direkt in die Kamera, als würden sie für eine Fernsehsendung interviewt – ein insbesondere in britischen Sitcoms von „The Office“ bis „Derek“ gerne bemühtes Stilmittel, dessen Sinn sich hier (wie meistens) überhaupt nicht erschließt: Wer sollte eine TV-Reportage über dieses Thema machen wollen? Der Geschichte fügen diese Einschübe zudem nichts hinzu.
Von sprechenden Affen und anderen Großmäulern
Wobei Geschichte hier ohnehin ein zu großes Wort ist, da im Grunde nichts passiert, außer dass man die Chadwicks samt Bekannten in ihrem ebenso skurrilen wie profanen Alltag begleitet. Das ist mal mehr unterhaltsam, etwa wenn Vater Keith sich beim Ansehen seiner geliebten Sitcoms als einziger vor Lachen wegschmeißt, und mal weniger, etwa wenn Oberfreak Pete mal wieder in ein Fettnäpfchen tritt. Richtig lustig ist es eigentlich nur, wenn Bea durch ihren Affen Fremde beleidigt und sich dabei um Kopf und Kragen redet. Chris O’Dowd, vor kurzem noch als Jessas überstürzt geheiratetem Ehemann in der zweiten „Girls“-Staffel zu sehen, spielt den orientierungslosen Sinnsucher Tom überzeugend und sympathisch, Tom Bennett ist als dessen ständiger Begleiter Pete mit breitestem Akzent und Großmaulattitüde allerdings nur schwer erträglich.
Wenn Tom auf den Spuren seines Urgroßvaters dessen „Karriere“ am Theater erkundet und dabei erfährt, dass der Ahne jahrzehntelang das Hinterteil eines Pferdes verkörperte (während sein Langzeit-Partner den Kopf und die Vorderbeine für sich beanspruchte), und dann Toms Führer noch betont, sie seien die besten in diesem Genre gewesen, ist das durchaus alles sehr charmant. Aber eben nicht gerade das, was man von einer neuen Serie des Klassenprimus‘ HBO erwartet. Weder ist das Thema von „Family Tree“ so relevant wie das von „Girls“, noch sind die Figuren so zwingend wie die herrlich schrägen Typen im leider viel zu früh abgesetzten „Bored to Death“. Das kann man zwischendurch schon mal gucken, zumal die erste Staffel eh nur aus acht knapp halbstündigen Episoden besteht. Aber man verpasst halt auch nichts, wenn man es nicht schaut. Aus der Idee hätte mit etwas Straffung ein guter 80- oder 90-minütiger Independentfilm werden können, den man sich gerne auf arte oder 3sat angesehen hätte. Für eine faszinierende Serie, die man über einen längeren Zeitraum Woche für Woche wieder einschaltet, eignet sie sich offensichtlich nicht. Im Programmplan von HBO wirkt sie gar wie ein weiteres Indiz dafür, dass die großen Zeiten des Kanals als Heimat bahnbrechender Serien schon seit längerem vorbei sind.