„Better Call Saul“-Kritik Ep. 2.04: „Gloves Off“

All about Kim (Rhea Seehorn); Foto: Sony TV/AMC

Betrachtet man die Staffel übergreifend als einen knapp zehnstündigen Film, dann hätten wir es bei “Gloves Off” mit dem ersten großen Plotpoint zu tun, der den weiteren Verlauf der Dinge bestimmen wird. Und tatsächlich gibt es schmerzhaft ein paar aufs Maul.

Die besagten “Boxhandschuhe” hält Mike im Teaser der Episode in Händen, nachdem er seine zusammengeflickte Visage in dieser Vorausblende mit Möhrchen aus der Tiefkühltruhe zum Abschwellen bewegen will. Offenbar ist der Job, für den ihn Nacho angeheuert hat, zwar erfolgreich verlaufen – wie der Geldumschlag belegt -, nur zu welchem Preis?

Last Man Understanding

Auch Jimmy entkommt mit knapper Not dem Rauswurf, nachdem er den Partnern seinen Werbespot vorgeführt hat. Die sind wenig “amused” und wider Erwarten bekommt er noch eine zweite und letzte Chance, sich an die Regeln zu halten. Kim hingegen trifft es härter und es ist unklar, ob sie sich aus diesem Keller wieder empor arbeiten kann. Im Gegensatz zu Jimmy ist sie sich der vollen Tragweite seines Fehlverhaltens, auf eigene Faust gehandelt zu haben, bewusst und versucht gar nicht erst, sich herauszureden. Die Frau hat Klasse und versteht, wie die Dinge in einer renommierten Kanzlei zu laufen haben, ob es ihr passt oder nicht – Karriere funktioniert in dieser Liga eben nicht so, wie sich das Jimmy vorstellt, der den Bogen auch gerne mal überspannt, wenn am Ende nur das Ergebnis stimmt.

So erstaunt es auch nicht, dass er versucht, sein eigenverantwortliches Handeln, das Kim in Mitleidenschaft gezogen hat, wieder gerade zu biegen, indem er seinem Bruder Chuck das auf dem Tablett anbietet, von dem er glaubt, dass er es sich wünscht: das Anwaltsdasein für immer an den Nagel zu hängen. Zu seinem Unverständnis möchte Chuck weder das, noch kann er ihm helfen – Kims Zuneigung für Jimmy hat ihr Urteilsvermögen geblendet und nur zu gern wollte sie glauben, dass er es endlich geschafft hat, Fuß zu fassen. Doch ihre Warnung blieb ungehört und Jimmy erweist sich als unfähig zu begreifen, wo denn nun sein Fehler liegt: Teamarbeit ist nicht sein Ding, sein Glaube in die Verhandelbarkeit aller Dinge ungebrochen.

Last Man Standing

Nun erfahren wir gemeinsam mit Mike, für welchen Job Nacho ihn angeheuert hat. Mike soll Tuco beseitigen, dessen Unberechenbarkeit Nacho in Form eines Schädelsplitters unter der Haut am Schlüsselbein trägt. Gewohnt professionell geht Mike die Optionen durch und begutachtet diverse Waffen, seine Vertrautheit mit einer davon legt nahe, dass er eine bewegte Vergangenheit in Vietnam hat. Damit erfahren wir wohl auch den Grund für seine noch immer vorhaltende Abneigung gegen ausufernde Gewalt, die er am Ende Nacho schuldig bleibt. Die Alternative, wie man Tuco loswerden kann, ohne dass der Verdacht auf seinen Partner Nacho fällt, wäre eines Walter White würdig gewesen, nur dass der kaum so viel eingesteckt hätte wie Mike, ehe ihm vorübergehend die Lichter ausgingen.

Dass Tuco nicht im Knast bleiben wird, ist “Breaking Bad”-geschulten Zuschauern ebenso klar wie dass Mike seine Einstellung zu Kollateralschäden noch überdenken wird. Ob beides miteinander zusammen hängt, werden wir wohl oder übel noch erfahren, im schlimmsten Falle hat Jimmy „Saul“ McGill dabei sogar seine Finger im Spiel.

Deal with it

Mit dem Ableger von “Breaking Bad” wollte ich in der ersten Staffel nicht so richtig warm werden, obwohl im Prinzip alle Zutaten stimmten. Mit der zweiten Staffel hat die Serie mehr zu sich selbst gefunden, kennt ihre eigenen Stärken und vertraut ihnen. Die Gastauftritte von Krazy8 und dem Waffenhändler sind dabei nette Dreingaben, die nicht mehr unnötig Aufmerksamkeit auf sich ziehen, genau wie man letzte Woche “Eisstation Zebra” nicht selbst gesehen haben muss, um den Verweis darauf einordnen zu können. Der weite Weg von Jimmy McGill zu Saul tritt dabei fast in den Hintergrund, denn über dieser Staffel steht nach dem Verlust der Familienbande zum Bruder die Wahl zwischen Geld oder Liebe im Zentrum: It’s all about Kim. Jimmy gibt in der ersten Folge zwar an, dass er sich nicht noch einmal vom Geld abwenden werde, böte sich ihm erneut die Gelegenheit zuzugreifen, doch ob er dafür bereit ist, Kim ziehen zu lassen oder gar ihre Karriere (endgültig?) zu zerstören, werden wir frühestens im Finale erfahren. So fantastisch Bob Odenkirk und Rhea Seehorn vor der Kamera miteinander harmonieren und man sich wünscht, dem noch lange beiwohnen zu können, das Ende ihrer Beziehung ist absehbar, deren Weiterbestehen Jimmy diese Folge wohl am meisten überrascht hat.

Offiziell spielt “Better Call Saul” sechs Jahre vor “Breaking Bad” und man kann wohl davon ausgehen, dass gar nicht erst versucht wird, am Ende nahtlos daran anzuschließen. Wahrscheinlicher ist, dass ein Jahr Luft bleibt, nachdem sich der Wandel zu Saul vollzogen hat. Trotzdem dürften im Verlauf der Serie, abgesehen von den oben erwähnten Fragen, noch zwei weitere beantwortet werden: Wie Mike Ehrmantraut in die Dienste von Gus Fring kommen wird, sowie wen Saul als seinen Killer erwartet und auf spanisch zu besänftigen sucht, als wir ihn in Folge 2.08 “Better Call Saul” kennengelernt haben, äh kennenlernen werden? Oh weh, das Raum-Zeit-Kontinuum gerät in bedrohliche Schwingungen, besser Olaf glättet nächste Woche wieder die von mir eben ausgelösten Gravitationswellen für euch.

„Better Call Saul“ ist in Deutschland (und für mich inzwischen ohne Proxy in Polen) auf Netflix zu sehen, jeweils dienstags gibt es die aktuelle Folge.

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