„Die Brücke – Transit in den Tod“-Kritik: Episode 3.2

Lise Friis Andersen (Sonja Richter) ruft in ihren Vlogs ungewollt zu Gewalt auf - ein Schelm, wer Parallelen zur Gegenwart sieht. Foto: Carolina Romare, ZDF

Bei „Die Brücke“ tritt keine Langeweile ein: Staffel III, Folge 2 bringt nicht nur wie gewohnt jede Menge Wendungen und neue Figuren mit sich, sondern findet auch Zeit für überraschend viele emotionale Momente.

Das Traumpaar

Rein erzählerisch ist „Die Brücke“ ein wahrer Behemoth, der selbst die Fälle von „True Detective“ in den Schatten stellt. Nach nur zwei Folgen sind so viele Figurenkreise eingeführt worden, Menschen umgekommen und generell einfach Dinge passiert, dass es schwer fällt, das Geschehen einer einzelnen Folge unter einen Hut zu bringen. Dabei kann nicht nur der Fall um die Serienmorde eine Reihe von überraschenden Wendungen liefern: Auch bei Sagas Psyche findet „Die Brücke“ reichlich unerkundetes Terrain, das in Folge 2 grandios erkundet wird.

Mit dem Familienvater Martin Rohde gab es nie eine sexuelle Spannung zwischen den zwei ermittelnden Kommissaren; Henrik ist hingegen jünger, Single und abenteuerlich – kein Wunder also, dass die Beiden ins Bett steigen. Es passt zum Verhalten ihrer Hauptfigur, dass die Serie keinen ewig großen Hehl um die Sache macht: Nach dem One-Night-Stand gehen sie wieder an die Arbeit, als ob nichts gewesen wäre. Es ist wirklich spannend (und zum Brüllen komisch), den sonst so selbstsicheren Henrik mal in Verlegenheit geraten zu sehen – so sehr wie ein Teenager beim ersten Mal hat er sich wohl schon lange nicht mehr gefühlt.

Aber auch von dieser Entwicklung abgesehen ist die Einführung Henriks ins Stammteam von „Die Brücke“ mehr als gelungen. Weil Saga vorübergehend ohne ihre zwei besten (einzigen) Freunde, Hans und Martin, auskommen muss, ist die Beziehung zu ihrem Partner besonders wichtig – und dieser bringt einerseits das nötige Einfühlungsvermögen mit, um einen produktiven Umgang mit Saga zu pflegen, und besitzt andererseits genügend Schmäh, um Saga ab und zu auch mal was zu denken zu geben. Martin war in seiner polizeilichen Kompetenz Saga eindeutig unterlegen – auch hier hat Henrik die Nase vorn. Es sollte keine Überraschung sein, dass er seine eigenen Dämonen aus der Vergangenheit mit sich bringt – dass seine Besucherin zu Hause bloß Einbildung ist hingegen schon.

Der Star der Folge ist aber einmal mehr Saga. Jedesmal bin ich von neuem begeistert, wie die Serie Episode für Episode neue Nuancen in ihrem Verhalten und neue Facetten in ihrer Interaktion mit den Kollegen finden kann. In Episode 2 passiert ihr das in all ihren Handlungssträngen: Henrik ist der erste Arbeitskollege, mit dem sie schläft; der Tod ihres Vaters berührt sie weit mehr, als sie es zugeben kann („Meine Gefühle beeinträchtigen nie meine Arbeit“); und Hans‘ schwere Verletzung bringt nicht nur einige Veränderungen am Arbeitsplatz mit sich, sondern lässt sie sogar beinah emotional werden.

Marie-Louise Norén (Ann Petrén) bringt Sagas Welt ins Wanken - und ist dennoch nicht ihr größtes Problem. Foto: N.N., ZDF
Marie-Louise Norén (Ann Petrén) bringt Sagas Welt ins Wanken – und ist dennoch nicht ihr größtes Problem. Foto: Carolina Romare, ZDF

Gerade die Geste, Hans‘ Hand zu ergreifen, gehört zum Besten, was die Serie je hervorgebracht hat – und das, obwohl Sagas Exposition ziemlich aufgesetzt wirkt. Ihre Erklärung, warum sie das tut – Studien haben ergeben, dass Berührungen und die Stimme von Verwandten tatsächlich die Aufwachchancen erhöhen – erinnert ungemein an den Showdown von Staffel I: Damals beruhte der Ausgang der gesamten Staffel darauf, dass Saga ihrem Partner weismachen musste, dass sie emotional dazugelernt habe, nur um kurz später zugeben zu müssen, dass es lediglich gespielt war. Hier sind Lilian und wir es, denen, bewusst oder nicht, eine Lüge aufgebunden wird: Sagas Kummer hat einen rein wissenschaftlichen Grund. Erneut sind Sagas Emotionen nicht so echt und stark, wie wir das von uns selber kennen. Saga ist das, denke ich, durchaus bewusst – was der Szene noch eine weitere Ebene verleiht. Über Sagas Verhalten könnte man sicherlich ein ganzes Buch füllen.

Aber auch sonst tut sich im Präsidium (abseits von Jon – der ist wirklich bloß für die Lieferung von neuen Informationen zuständig) viel. Mit Linn findet die Serie einen subtilen Kontrast zu Hans: Sie ist nicht die gefühlskalte Chefin, die Sagas besondere Umstände ignoriert, sondern zeigt sehr wohl Verständnis dafür. Dass Linn die Kompetenz besitzt, die Qualitäten von Saga zu sehen und zu fördern, lässt sie selber kompetent wirken – was wiederum ihre Konflikte mit Lilian und Saga deutlich vielschichtiger macht. Im Gegensatz zu Hans rührt Linn Saga nicht mit Samthandschuhen an – nicht aus Feindseligkeit, sondern mit dem Gedanken, Saga dabei zu helfen. Tatsächlich wird uns die Möglichkeit präsentiert, dass Hans‘ schützende Hand sogar ein Fehler gewesen sei: Mit der Kritik an ihrer unsensiblen und unfreundlichen Art kann Saga sichtlich nicht gut umgehen, da kann sie noch so sehr das Gegenteil beteuern.

Geduld für Nebengeschichten

Worum es in dieser dritten Staffel tatsächlich geht, ist auch nach vier Stunden nicht klar auszumachen. Nach wie vor sind Motiv und Wahl der Opfer unklar. Vor allem wie Hans in die ganze Geschichte hineinpasst, ist mir nach wie vor noch vollkommen schleierhaft – es wirft auf jeden Fall die Theorie aus dem Rennen, dass es sich um zufällig ausgewählte Ziele handelt. Interessanterweise tut diese fehlende Klarheit dem Vergnügen keinen Abbruch, weil die Staffel auch so deutlich genug definiert ist: Mit der Einführung von Henrik und Linn, Hans‘ Entführung sowie dem Tod von Sagas Vater besitzt Staffel III genügend Material, um am Ende jeder Episode sofort wieder Lust auf mehr zu machen.

Dabei steuern auch die Handlungen rund um die Nebenfiguren das Ihrige bei, um Fragen aufzuwerfen, deren Antwort dann auch prompt in der nächsten oder übernächsten Episode geliefert wird. Die Geschichte um Marc und seine schwangere Freundin wird beispielsweise mit jeder Wendung mysteriöser: Was ist bloß in der Tasche, die die Freundin vom Bahnhof abholen soll? Warum wurde das Schließfach anscheinend überwacht? Warum inszeniert Lukas den Diebstahl der Tasche? Die Geschichte weist ausnahmsweise ein paar unlogische Geschehnisse auf (Warum sollte Marc seine hochschwangere Freundin auf so eine dubiose Kurierfahrt schicken, während er selber dabei Däumchen dreht? Warum machen sich die Beiden nicht mehr Sorgen, dass Lukas sie einfach gehen lässt?), und bleibt vorerst noch schuldig, was das mit den Serienmorden zu tun hat. Lukas hat auf jeden Fall größeren Dreck als die Erpressung von Kids am Stecken, und Marc und seine Freundin haben sich auf jeden Fall darin verwickeln lassen. Die Überlebenschancen stehen, wenn man die massive Anzahl an Leichen der beiden ersten Episoden in Betracht zieht, jedenfalls gering.

Mit dem Tod Mortens wurde hingegen dessen Geschichte vorzeitig beendet. Es ist eine schockierende Wendung, dass die Suche nach Morten, die immerhin gut die Hälfte der ersten Folge gedauert hat, zu einem jehen toten Ende geführt hat. Solche Entwicklungen zeigen ein wenig die Nähte der Geschichte auf: Wenn „Die Brücke“ ihren zehnstündigen Mordfall bis zum Schluss ungelöst bleiben lassen möchte, müssen Augenzeugen oder wichtige Informanten nun mal regelmäßig vorzeitig das Zeitliche segnen.

Keine Gefangenen

Andererseits hat man bei „Die Brücke“ bei allen Figuren außer Saga auch nie das Gefühl, dass sie sich in Sicherheit wiegen können. Weil die Serie so immer für eine Überraschung gut sein kann, sind diese Leben-oder-Tod-Momente stets sehr spannend. Beispiele in dieser Episode sind etwa die Geiselnahme von Lises Tochter sowie die Entführung von Hans. Dass Hans seine Hand verliert, ist ebenso ein Beweis dafür, dass „Die Brücke“ keine Gefangenen nimmt, wenn es um die Schicksale ihrer Haupt- und Nebenfiguren geht: Den Armstumpf zu sehen ist wie ein Schlag ins Gesicht, der durch Sagas bröckelnde Fassade noch verstärkt wird.

Von anderen Geschichten haben wir in bester Zopfdramaturgie noch wenig gesehen. Da ist Anna, die kurz vor der Übernahme einer Firma steht, ein Verhältnis mit einem jungen Mann hat – und am Ende der Episode damit auffliegt. Im Gegensatz zur Geschichte von Marc gibt es hier noch nicht einmal eine vage Verbindung zu den Ermittlungen rund um die Serienmorde – von Spannung kann hier nicht die Rede sein. Selbiges gilt für Claes, den Autor, der einerseits seinem Vater das Leben nimmt, andererseits von einer Stalkerin besucht wird – und bei ihr schwach wird. Wie bei Marc in der ersten Hälfte von Folge 2 heißt es aber, Geduld zu beweisen – die braucht man für diese Nebenplots.

Für die Serie selbst benötigt man die aber nicht zwingend – erstens, weil sie mit den Konflikten ihrer Protagonisten ausreichend für Spannung sorgt, zweitens, weil „Die Brücke“ in aller Regelmäßigkeit auch die aufgeworfenen Fragen zeitnah beantwortet, und drittens, weil das ZDF uns erlaubt, direkt weiter zu schauen, Mediathek sei Dank.

Der ZDF strahlt Staffel 3 von „Die Brücke – Transit in den Tod“ jeden Sonntag um 22 Uhr in Doppelfolgen aus – Fortsetzung.tv wird die Episoden wöchentlich mit Artikeln begleiten.

Alle drei Staffeln sind zur Zeit zur Gänze in der ZDF Mediathek verfügbar. Auch Netflix bietet Staffeln 1 und 2 in seinem Angebot in Deutschland an.

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