„Weissensee“-Kritik: 3.05 „Am Abgrund“ & 3.06 „Kaltes Herz“

Die Stasi-Zentrale wird gestürmt, die Protagonisten sind mittendrin. Bild: ARD/Julia Terjung

Am dritten und letzten „Weissensee“-Fernsehabend arbeitet die Serie die Stürmung der Stasi-Zentrale auf. Das Staffel- und womögliche Serienfinale rundet die Geschichte mit all ihren vielen Handlungssträngen auf poetische Weise ab – aber kann dann doch nicht widerstehen, einen Cliffhanger zu hinterlassen.

Es ist schön anzusehen, wie die 18 Folgen „Weissensee“ in die Stürmung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße münden und alle Hauptcharaktere durch ihre direkte Teilnahme ihre Charakterbögen vollenden. Veras Engagement im Demokratischen Forum gipfelt in der Organisation der Demonstration, die zur Öffnung der Pforten führt. Es wurde nie geklärt, wer den Demonstranten die Tür zur Zentrale öffnete – „Weissensee“ schlägt Hans Kupfer vor, und es passt wie die Faust aufs Auge. Dunja und Martin entdecken einander allein inmitten der Menschenmassen, aber gehen nicht aufeinander zu – sie teilen ein Schicksal, aber nicht ihren weiteren Weg. Und Falk nutzt den Tumult der Nacht, um für die Amerikaner weitere Dokumente zu stehlen – und sich damit wieder einmal selbst zu bereichern.

Was die Autoren Hess und Fromm dabei so schön konstruieren, ist, wie diese Nacht für die Charaktere jeweils eine ganz andere Bedeutung besitzt, die weit über den Befreiungsschlag gegen die Stasi hinausgeht. Vera etwa ehrt mit ihren Taten das Andenken des verstorbenen Pfarrers Wolff: sie kann ihrem Ex-Mann damit beweisen, dass die Revolution sehr wohl friedlich ablaufen kann – die Demokratie siegt. Martin nimmt die Stürmung ähnlich lethargisch und verwirrt wahr wie die Maueröffnung: Es ist schön, dass die Stasi nie wieder über sein Leben entscheiden können wird, aber es ist und bleibt ein Sieg, der unter zu hohen Kosten errungen wurde – und die Vergangenheit nicht ungeschehen macht. Ganz ähnliches geht in Dunja vor sich, mit dem Unterschied, dass diese keine Chance auf ein zweites Glück finden können wird.

Es regnet Akten, ein neues Zeitalter bricht an. Bild: ARD/Julia Terjung
Aus Dunjas Blickwinkel: Es regnet Akten, ein neues Zeitalter bricht an. Bild: ARD/Julia Terjung

Geradezu poetisch ist besonders jener Moment, in dem sich die Blicke von Dunja Hausmann, Martin und Hans Kupfer innerhalb der gestürmten Zentrale beinahe begegnen und dann doch aneinander vorbeigehen. Aktenblätter fallen zu Tausenden aus oberen Stockwerken, als ob gerade der Millionenpreis einer Spielshow gewonnen worden wäre – das sieht allerdings reichlich künstlich aus. Unabhängig davon, ob das seitens der Produktion Absicht war oder nicht, entsteht dadurch ein fast surreales Bild, das die Euphorie der Stunde gelungen aus den emotionalen Blickwinkeln der Protagonisten einfängt. Dass Hans und Dunja sich auf auf unterschiedlichen Stockwerken (und damit Welten) befinden, sorgt aber nicht nur visuell für ansprechenderes Material: Es lässt den bedeutungsschwangeren Blick Dunjas dialoglos für sich sprechen, der ihre vorherige Aussage bestätigt: „Wenn wir ganz ehrlich sind, Hans, unsere Zeit ist vorbei.“ Es lässt sich eine Akzeptanz dieses Umstands in ihrem Gesicht ablesen – für sie gibt es dort nichts mehr zu holen.

Das kalte Herz

Und dann ist da die Begegnung der Kupfer-Brüder, auf die die Serie im Grunde schon seit der ersten Folge hingesteuert ist. Dass man auf diese Konfrontation gute dreizehn Fernsehstunden warten musste, steigert einerseits die Erwartungshaltung, intensiviert den Moment andererseits quasi automatisch. Zudem tat „Kaltes Herz“ mehr, als bloß Martin 1 und 1 zusammenzählen zu lassen, um das Aufeinandertreffen vorzubereiten: Der bitterböse Blick auf dem Gesicht von Martin (Florian Lukas), der sonst immer einen so harmlosen Eindruck gemacht hat, sorgt für reichlich Spannung, weil es die Figur auf ein Territorium bringt, das sie zuvor noch nie betreten hat. Dank des drohenden Staffelfinales ist alles möglich.

Die Begegnung selber lässt einen dann tatsächlich mit geballten Fäusten den Ausgang erhoffen, enttäuscht aber ein wenig durch die Dialoge. Besonders Martins Kommentar, dass Falk kein Rückgrat besitze (ein Kommentar, den wir in ähnlichem Wortlaut schon einmal gehört haben), wirkt einfach so unauthentisch. Kein Rückgrat zu besitzen bedeutet doch, dass man opportunistisch die Seiten wechseln würde und seiner eigenen Meinung nicht treu bleiben würde – das trifft auf Falk aber doch nur bezüglich seiner Spionagetätigkeit zu, und davon weiß Martin gar nichts. Aus Martins Sicht ist Falk doch der geradlinigste Mensch, den er kennt. Zudem klagt er da etwas an, das ihm ja eigentlich absolut egal sein sollte: Falks Rückgrat hat nichts mit Julias Tod und dem Vertauschen der Kinder zu tun, und so werden Martins Emotionen dank seiner Worte fehlgeleitet.  So viel wichtiger ist doch seine Frage, warum Falk das alles getan hat – und dass „Weissensee“ hier eine so unklare Antwort liefert beziehungsweise Martin sich mit einem „das würdest du nicht verstehen“ abwimmeln lässt, ist eine echte Enttäuschung, weil Falks Motivation doch im Brennpunkt von Staffel 3 stand.

Falk bespricht den Sachverhalt mit seinem Sohn in einer vorherigen Szene: Er wird immer an die Idee der DDR glauben und schämt sich nicht für seine Taten – der Zweck heiligt die Mittel. Widerspricht das allerdings nicht seinen Spitzel-Tätigkeiten für Schnyder und der Behauptung, er habe kein Rückgrat? Genügt das wirklich als Grund für das Vertauschen der Babys? Und warum weint er dann nach der Konfrontation mit Martin bitterlich in die Schulter seines Vaters? Todesangst kann wohl nicht der Grund sein, seinem anschließenden Verhalten gegenüber Dunja nach zu urteilen. Außerdem war es Falk stets bewusst, dass er das Leben seines Bruders zerstört – Grund für späte Reue oder Einsicht liefert „Weissensee“ nicht. Falk behauptet, er kämpfe für die Familie, lässt aber entscheidenderweise aus, wie selektiv er das definiert. Man möchte meinen, er würde seinem Sohn nach dessen Bitte, wenigstens einmal die Wahrheit zu sagen, das auch tatsächlich tun – aber ob und vor allem mit welchen Worten das geschieht, bleibt unklar.

Die Katharsis trägt den Namen Dunja

Ich war in der Kritik zur Vorfolge noch so optimistisch, dass Falk in den Folgen 17 und 18 eine Kostprobe seiner eigenen Medizin erhalten würde und wir dadurch Einsicht in diesen komplizierten Mann erhalten würden. In „Am Abgrund“ und „Kaltes Herz“ kommt es hingegen anders, der Cliffhanger wird gleich in den ersten Minuten entschärft: Falk kann selbst bei der eigenen Erpressung die Oberhand gewinnen und sich einen lukrativen Deal aushandeln. Wer sich Gerechtigkeit versprochen hat, wird dabei vorerst bitter enttäuscht – muss sich allerdings eingestehen, dass man Falk dabei unterschätzt hat: Seine jahrelange Arbeit für die Stasi hat ihn perfekt auf solch eine Situation vorbereitet. Robert Schnyder schaut indes bei dieser Abmachung reichlich alt aus – seine Rückkehr ist weit weniger imposant als es Folge 16 („Der Amerikaner“) ausschauen ließ.

Die Katharsis kommt in anderer Form, und diese trägt den Namen Dunja Hausmann. Sie verspricht Falk, sein Leben zerstören zu wollen – doch wie zerstört man das Leben eines Mannes, das bereits in Scherben liegt? Es ist ein dunkler Werdegang, den Dunja hier vollzieht, von der Gallionsfigur der Demokratie-Bewegung zur selbsternannten Märtyrerin, aber für sie wohl der einzig mögliche. Sie hat nichts mehr zu verlieren, also kann sie es sich leisten, Rache für all jene Seelen zu nehmen, die Falk im Namen der Idee der DDR vernichten ließ. Die Waffe ist bloß ein Bluff, der Tod wäre nicht Strafe genug – gerade jetzt nicht, wo Falk am Boden zerstört ist. Davon abgesehen würde sie durch einen Mord bloß die Ressentiments auf beiden Seiten schüren – so sehr sie aus persönlichen Motiven handelt, wird ihr die demokratische Bewegung sicher nicht egal sein.

Dunjas Versprechen der Rache ist der einzige richtige Cliffhanger, der eine weitere Staffel motiviert – laut Produzentin Regina Ziegler durchaus eine Möglichkeit. Das scheint aber die Produzenteninnen-Sicht zu sein, die auf Gewinnmaximierung aus ist; Rein erzählerisch würde Staffel 3 als bemerkenswert rundes Ende von „Weissensee“ fungieren – nicht nur, weil es so gut wie keine losen Enden gibt, sondern auch, weil die Charaktere allesamt an zufriedenstellenden Endstationen ihrer Reisen angelangt sind. [Allerdings hat auch Regisseur und Koautor Friedemann Fromm bereits gesagt, er würde gerne noch eine vierte Staffel machen; Anm. d. Red.] Wenn sich „Weissensee“ mit dieser Folge in den Ruhestand verabschiedet, dann tut es die Serie mehr als würdig.

Ein Panorama der Nostalgie

Von Falks undurchsichtigen Motiven abgesehen gibt es viel am Staffelfinale zu lieben. Die Folgen 17 und 18 gehen etwa gerade mit jenen Figuren besonders sorgfältig um, mit denen sich die Serie zuvor noch gelegentlich geplagt hat. Insbesondere Marlene tut sich da hervor, ganz einfach deshalb, weil sie sich dazu entscheidet, nicht mehr länger wegzusehen: Stattdessen ist sie jene Kraft, die die Steine für Martins engeren Kontakt mit seiner Tochter sowie dessen Entdeckung von Falks Involvierung in der Kindes-Verwechslung ins Rollen bringt. Dass der Matriarchin der Kupfers ausgerechnet dann die Lebenskräfte entschwinden, als sie wieder als Familienoberhaupt aufblüht, versetzt diesen Handlungsstrang mit einer bitteren Prise Ironie; der erfüllte Wunsch nach einem letzten gemeinsamen Weihnachten – Marlene spürt, dass eine Ära zu Ende geht – sorgt für eine passend sentimentale Stimmung. „Weissensee“ findet nicht nur endlich einen Platz für Marlene, sondern versteht es auch, damit auch eine Botschaft zu senden.

Das letzte Abendmahl der Kupfers birgt viele Überraschungen. Bild: ARD/Julia Terjung
Das letzte Abendmahl der Kupfers birgt viele Überraschungen. Bild: ARD/Julia Terjung

Das gelingt nicht überall: Über Martins Tochter Lisa findet das Staffelfinale etwa zwar ein paar interessante Dinge zu erzählen: Das gemeinsame Feiern mit Martin und später sogar den DDR-Beamten macht Lust auf mehr, während es gleichzeitig von der Auflockerung der sozialen Normen der Ostbürger erzählt – toll. Warum sich „Weissensee“ allerdings dafür entscheidet, ihren Traum vom Modeln Realität werden zu lassen, ist weniger nachvollziehbar – ebenso, aus welchem Grund Görlitz unwahrscheinlicherweise ein Cabrio gewinnt. Wir sehen dabei zwei träumerische Erwartungen an den Westen erfüllt werden – die Realität sah aber anders aus. Görlitz‘ wilder Cabrio-Ritt ist zwar durchaus sehr witzig inszeniert, aber beschwört schlichtweg einen falsch wirkenden Sinn von Nostalgie hervor, der sich mit dem (von der notwendigerweise überhöhten Dramaturgie mal abgesehen) Realismus von „Weissensee“ nicht wirklich verträgt.

Andererseits ist da wieder Romans Reaktion auf den Westen, mit der „Weissensee“ in „Kaltes Herz“ absolut ins Blaue trifft. Als junger Mensch ließ sich der natürlich sofort vom Mauerfall am 9. November begeistern; knapp zwei Monate später sieht er die Sache schon wesentlich nüchterner. Seine Szene mit seiner Mutter ist ein stilles Highlight des Finales, das nicht mit Einsichten spart. Roman erkennt, dass der fortschrittliche Westen einige Institutionen des Ostens obsolet macht – seine in der DDR erworbenen Computer-Kenntnisse stellen sich als überholt heraus. Die Parallele zu seinem Vater ist augenscheinlich, selbst wenn Roman die Augen vor den Taten der Stasi nicht verschließen kann. Und so fällt der ehemals rebellische Roman doch nicht ganz so weit vom Stamm, wie er das gerne glauben würde.

Besonders interessant ist dabei ja, dass Roman dem Westen die Schuld dafür gibt. Natürlich stünde er gesellschaftlich besser da, wenn er weiterhin in der DDR leben würde, und deshalb verweigert er sich dem offensichtlichen Fortschritt. Es ist eine egoistische Haltung, die einerseits aus dem Hang zum Vertrauten und der Verweigerung von Unbekanntem entstammt, andererseits aus seiner privilegierten Stellung als Sohn eines führenden Stasi-Offiziers entspringt: Er wurde nicht etwa wie Martin, Görlitz, Vera, Nicole, Robert oder Julia von den Machthabenden herumgeschubst, weil sein persönliches Glück der Ideologie der DDR im Wege stand – stattdessen genoss er stets die schützende Hand seines Vaters. Dass er sich über den Vorfall mit der Nierentransplantation beklagt, anstatt für sein Leben dankbar zu sein, schlägt da ebenfalls in dieselbe Kerbe. Er ist jener Bürger, der behauptet, dass früher alles besser gewesen sei – ohne zu überprüfen, ob das nicht etwa bloß für ihn und seine engsten Vertrauten gilt. Roman war nicht immer die spannendste Figur, aber das Ziel heiligt die Mittel – schon erstaunlich, auf wie vielen Ebenen „Weissensee“ seine Themen in das Narrativ integriert.

Aus eben diesem Grund ist und bleibt auch Martins Beziehung mit Elena/ Anna sowie deren Eltern die unspektakulärste der dritten Staffel: weil uns diese nichts über den Zeitgeist der Wende verrät. Das macht die Storyline nicht unbedingt schlecht – mir gefiel sie sogar erstaunlich gut. Als Elenas Mutter den heulenden Martin in den Arm nimmt, während sich der Vater miesmutig wegdreht, zeigt sich, dass „Weissensee“ auch abseits des Kupferschen Familiendramas weiß, wie die Serie die emotionalen Knöpfchen zu drücken hat. Ansonsten gibt es darüber aber auch nicht weiter viel zu sagen, außer vielleicht, wie schön das letzte Bild der dritten Staffel gewählt ist: Martin und Elena/ Anna Hand in Hand davon spazieren zu sehen ist zwar kitschig, aber transportiert auch zweifelsohne jede Menge Melancholie und Versöhnlichkeit. Es ist nicht alles gut, aber zumindest gut genug.

Fazit der Wende

Auch wenn es also im Detail ein paar Dinge zu beanstanden gilt, schafft es „Weissensee“, im Großen und Ganzen diese Nebengeschichten und deren Aussagen scheinbar mühelos in das Gesamtwerk einzuflechten, ohne dabei die historischen, sich schnell verändernden Kontexte der Wende zu missachten. Nicht zuletzt deshalb hebt sich „Weissensee“ von der Konkurrenz ab: Es ist eine der wenigen Serien des Ersten, die auf gut einem Dutzend Ebenen horizontal erzählt und dabei doch nie ihr Ziel aus den Augen verliert. Unabhängig davon, ob es mit der Serie weitergehen wird oder nicht, hinterlässt die dritte Staffel einen äußerst runden, geschliffenen Eindruck. Dass dabei sogar die Quoten stimmen, ist ein gutes Omen: nicht nur für „Weissensee“, sondern für alle deutschen Serienschmiede.

„Weissensee“ wurde vom 29. September bis 1. Oktober täglich in Doppelfolgen um 20 Uhr 15 im Ersten ausgestrahlt. Nach Ausstrahlung werden alle Episoden für sieben Tage in der ARD Mediathek zur Verfügung stehen.

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