Episches Erzählen in den Kinderschuhen

"Unsere Mütter, unsere Väter"-Autor Stefan Kolditz im Gespräch mit Christian Junklewitz von serienjunkies.de; Foto: kir

Sind Fernsehserien inzwischen „Besser als Kino?“ In den USA sicher oftmals. In Deutschland sind allenfalls Ansätze zu erkennen, wie komplexere Serien hierzulande aussehen könnten. In Köln diskutierten Filmemacher und TV-Verantwortliche am Freitag, woran das liegt und wo die Entwicklung hingehen könnte.

Unter dem provokanten Titel „Besser als Kino?“ hatte das Filmbüro Nordrhein-Westfalen zu einem Symposium eingeladen, um über epische Erzählformen in modernen Fernsehserien zu diskutieren. Die These: „Das Kino hat einen Teil seiner künstlerischen Vorreiterolle verloren.“ Wichtige Impulse für filmisches Erzählen seien in letzter Zeit eher aus der früher verpönten Gattung der Serie gekommen – jedenfalls im englischsprachigen Raum. Im Filmforum NRW diskutierten Produzenten, Autoren und Redakteure mit dem überwiegend selbst aus der Branche stammenden Publikum darüber, welche Chancen diese Entwicklung auch für deutsche Filmemacher bietet.

Natürlich durften die eingeladenen Gäste auch ihre eigenen Projekte vorstellen. Auffallend war dabei, dass es sich bei gleich zwei Präsentationen gar nicht um Serien im engeren Sinn handelte. Das vor kurzem im Ersten ausgestrahlte „Dreileben“ besteht im Grunde aus drei unabhängigen Fernsehfilmen, die nur locker miteinander verknüpft sind, das für 2012 im ZDF-Programm geplante „Unsere Mütter, unsere Väter“ ist ein klassischer Dreiteiler. Die Autoren zweier der innovativsten deutschen Serien der vergangenen Jahre, „Im Angesicht des Verbrechens“ und „Weissensee“, hatten leider kurzfristig abgesagt.

Das am meisten versprechende vorgestellte Projekt war sicherlich das von Nico Hofmanns Produktionsfirma teamWorx umgesetzte „Unsere Mütter, unsere Väter“ über fünf befreundete junge Erwachsene, deren Lebenswege in den Wirren des Zweiten Weltkriegs unterschiedlichste Pfade einschlagen. Mit Ludwig Trepte, Katharina Schüttler und Tom Schilling ist das Drama nicht nur prominent, sondern auch mit einigen der besten deutschen Schauspieler dieser Generation besetzt. Der Film sei eine Art Dialog des Produzenten Hofmann und von ihm selbst mit ihren Vätern, erklärte Drehbuchautor Stefan Kolditz. Er zeige ganz normale Menschen, keine Nazis oder Widerstandskämpfer. Im Mittelpunkt stünden die Wechselwirkungen zwischen den Protagonisten und ihren Kriegserlebnissen, wobei der Film mit einer für das deutsche Fernsehen ungewöhnlichen Schonungslosigkeit arbeite.

Benjamin Benedict, der den Dreiteiler für teamWorx produziert, betonte, sie hätten serielles Erzählen hier einmal nicht als Beschränkung der Mittel betrachtet. Mit knapp 15 Millionen Euro Budget liege der Film an der absoluten Grenze des in Deutschland Möglichen. Die Umsetzung der ersten Drehbuchfassung hätte allerdings noch zehn Millionen Euro zusätzlich gekostet. Dem epischen Erzählen nähere sich der Film insofern, als dass er vier Handlungsstränge mit fünf Hauptfiguren über einen Zeitraum von vier Jahren erzähle. Literaturverfilmungen seien hingegen oft gerade nicht besonders episch, da sie die Romanhandlung zu stark verkürzen müssten. 50 Seiten Roman ergäben sonst etwa 90 Minuten Film. Während Filmdramaturgie eher zielgerichtet sei, eröffneten Serien mehr Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen, eher handlungsorientiert wie in „24“ oder eher charakterorientiert wie in „Mad Men“. Sie seien näher am Roman als der Film, da sie nicht unbedingt auf klassische Wende- und Höhepunkte angeweisen seien. Für Sender stellten sie allerdings zunächst ein größeres Risiko dar: „Die Sendeplätze sind auch bei schlechten Quoten erst einmal belegt.“

Das deutsche Fernsehen handele deshalb oft nach dem Motto „Wir machen etwas, was wir schon gesehen haben, weil es dann Erfog hat“, so Autor Kolditz. In den USA würden Verantwortliche, vor allem bei Kabelsendern, ihren Autoren hingegen eher sagen: „Macht etwas, das wir noch nie gesehen haben“. Das einseitige Schielen auf die Quote sei ein systemisches Problem, das innovativere Formate verhindere.

Brachte "Kommissarin Lund" ins ZDF: Peter Nadermann (r.) mit Thomas Lückerath von dwdl.de; Foto: kir

Statt selbst solche Serien zu entwickeln, geht das ZDF seit einigen Jahren den Weg, skandinavische Sender als Co-Produzenten finanziell zu unterstützen. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind dann hoch gelobte Krimiformate wie die dänische Serie „Kommissarin Lund“, die das ZDF am späten Sonntagabend ausstrahlt (und die sogar AMC als „The Killing“ für den US-Markt adaptiert hat). Peter Nadermann betreut diese Reihe für ZDF Enterprises. „Bei skandinavischen Krimis ist das Budget größer als beim ‚Tatort‘ und es wird effizienter eingesetzt“, erklärte er in Köln. Die geringere Anzahl der Produktionen der skandinavischen Sender ermögliche eine größere kreative Freiheit bei den wenigen umgesetzten Projekten. Zudem erlaube etwa der in Dänemark fest etablierte Krimi-Sendeplatz am Sonntag um 20 Uhr 15 auch komplexere Stoffe, weil das Publikum ohnehin zu dieser Zeit einschalte. „Im Angesicht des Verbrechens“, die einzige von den Produktionbedingungen her vergleichbare deutsche Serie, habe die ARD hingegen auf dem sonst für „Tatort“-Wiederholungen vorgesehenen Programmplatz „in Grund und Boden gesendet“.

Die deutschen Senderverantwortlichen würden die Zuschauer oft unterschätzen, so Nadermann. „Wir müssen ihnen sagen, wann komplexe Stoffe laufen.“ Es müsse also feste Sendeplätze dafür geben. Auf den Publikumseinwurf, warum das ZDF sich lieber Kreativität in Skandinavien einkaufe als bei deutschen Autoren, erklärte Nadermann, er arbeite gerade an einer europäischen Cop-Show über eine EU-Spezialeinheit. Die soll zwar vom ZDF produziert, allerdings ebenfalls in Skandinavien – und auf Englisch – gedreht werden.

Einig waren sich in Köln eigentlich alle Fernsehmacher, dass gerade die öffentlich-rechtlichen Sender sich vom einseitigen Quotendenken verabschieden müssten und auch künstlerisch prägende Programme bräuchten. Aber deren adäquate Ausstrahlung scheitert dann oft schon daran, dass sie nicht in das starre Programmschema passen. Solange weiterhin Ausnahmeserien wie „KDD“ oder „Im Angesicht des Verbrechens“ auf Sendeplätzen gezeigt werden, die sonst für konservativere Formate wie „SOKO“ oder den „Tatort“ reserviert sind, wird ein interessiertes, auch jüngeres Publikum sie gar nicht erst entdecken. Außerdem wäre es auch ein erster Schritt hin zu mehr Innovation, wenn ARD und ZDF auch andere Serienstoffe produzieren würden, als immer nur Krimis. Wie weit deutsche Sender den hohen Ansprüchen immer noch hinterher hecheln, wurde aber spätestens klar, als zum Abschluss der Tagung „Breaking Bad“-Showrunner Vince Gilligan über Skype zugeschaltet wurde. Von den kreativen Freiheiten, die die Verantwortlichen beim US-Kabelsender AMC ihm bei seiner Serie lassen, können deutsche Autoren und Produzenten wohl weiterhin nur träumen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.