„Die Brücke – Transit in den Tod“-Kritik: Episode 3.3

Auch 2016 war die Pathologie ein beliebter Handlungsort... Foto: ZDF/Carolina Romano

Das Köpferollen will kein Ende nehmen: In Folge 3 verabschieden wir uns gleich von drei für die Ermittlungen entscheidenden Figuren. Die Serie wiederholt sich damit zwar ein wenig, nimmt aber an Spannung zu – vor allem, weil sich die Handlungsstränge mehr und mehr kreuzen.

Konflux der Nebengeschichten

Die Komplexität der „Die Brücke“-Staffeln sowie deren Erzählweisen sind schon Kunstwerke für sich. Auch wenn es ein wenig transparent wirkt, wie die Serie die eine oder andere Figur umkommen lässt, um in Sachen Komplexität nicht völlig aus dem Ruder zu laufen, ist es absolut beeindruckend, wie die Serie ihre parallelen Geschichten so langsam zusammenwebt und dadurch eine wirklich beachtlich riesige Geschichte kleistert. Noch gibt es unzählige Fragen, und die Serie wirft ständig neue auf: Es ist unklar, was die Morde mit Freddies Kunstwerken oder was die Mordserie mit der „Adoption“ von Jeanettes Baby, oder was Bens Selbstmord mit Horkans Ermordung zu tun haben – aber irgendwie wird die Serie das in den letzten vier Stunden ihrer dritten Staffel schon noch klären.

Aber auch von den ersten beiden Episoden rühren noch jede Menge Fragen her, die es zu klären gibt: Warum musste Morton Anker dran glauben – und woher kannte er den Mörder? Warum hatte der Serienkiller es eigentlich auf Aleksander abgesehen? Und wie war Lukas in all das verwickelt, abseits seines Drogenschmuggels? Bei manchen dieser vielen Fragen besteht die Möglichkeit, dass es sich um einen gänzlich anderen Fall oder bloß um einen Zufall handelt – am ehesten ist das bei Bens Suizid möglich. Die Serie muss dabei jedoch auf jeden Fall behutsam sein, denn zu viele Zufälle verderben bekanntlich den Brei. Die ersten beiden Staffeln zumindest enttäuschten dabei aber nicht, und den parallelen Fall der Staffel hat „Die Brücke“ schon mit der Festnahme des Nachahmungstäters in Episode 2 erledigt.

Hundertprozentig logikdicht ist „Die Brücke“ aber bei all der Komplexität nicht. Freddies Verhalten gegenüber Jeanette ergibt beinahe überhaupt keinen Sinn: Er behauptet, sie von Aufregungen fernhalten zu wollen, sorgt jedoch innerhalb von zwei Episoden dafür, dass sie zwei Mal aus einem Auto unter mysteriösen Umständen angegriffen wird – einmal wird sie beraubt, einmal entführt. Freddies Aussage könnte durchaus eine Lüge sein – aber erstens scheint er sich wirklich um das Wohl des Kindes zu sorgen, und zweitens sollten die Kids selber den Schluss ziehen können, dass sich sein Verhalten nicht mit seinen Aussagen deckt.

Andererseits ist vielleicht das genau jene Art von subtilem Foreshadowing, das die Serie zu einer interaktiven Jagd nach den Verbrechern macht. Ein gelungenes Beispiel dafür ist die Enthüllung, dass Jeanette ihr Kind weggeben wird: Das enthüllt „Die Brücke“ erst in der Mitte ihrer dritten Folge, aber eigentlich hätte man schon früher draufkommen können: Erstens, weil die Kids viel zu selten über ihr erwartetes Leben mit ihrem Kind reden, und zweitens durch Jeanettes Worte an Marc, dass ihr neues Haus nur für sie beide bestimmt sei.

Alle vier großen Nebengeschichten von Episode 2 – Marcs und Jeanettes Kampf um ihr Geld, Klaes Begegnung mit seiner verrückten Stalkerin Annika, Lukas‘ schmierige Geschäfte sowie die Affäre zwischen Anna und Ben – erfahren im Mittelteil von Staffel III ein oder zwei drastische Wendungen. Mit der Ausnahme von Annas Handlungsstrang hat die Serie da durchaus spannende Geschichten erschaffen, die auch für sich gesehen interessant genug sind, um bis zu jenem Zeitpunkt zu unterhalten, in dem sie in die Hauptgeschichte münden.

Das hat mitunter auch jenen Grund, dass diese Geschichten auch untereinander miteinander verzahnt sind – was auch die größte Stärke dieserdritten Episode ist: Marc schuldet Lukas Geld, der von Freddie angeheuert ist, der mit Orsa liiert ist, die die Ex von Klaes ist, der von Annika gestalkt wird, welche wiederum mit Bestimmtheit weitere Geheimnisse verbirgt – sie ist Klaes immer so viele Schritte voraus, dass ich sie mittlerweile als Hauptverdächtige sehe, obwohl noch keinerlei Art von Motiv in Sicht ist.

Annas Handlungsstrang sticht ein wenig negativ hervor, weil sie bis zum Mord an ihrem Mann noch überhaupt nicht mit den anderen Hauptfiguren interagieren konnte. Das gilt zwar auch für eine Figur wie die Journalistin Tina, aber Anna verfolgen wir nun ja doch schon über zwei Folgen lang. Bens Selbstmord ist zwar eine tragische Romeo-und-Julia-Variation, lässt mich aber immer noch rätseln, warum wir uns das Ganze angesehen haben. Auch wenn sich das wohl in der nächsten Episode klären wird, hätte „Die Brücke“ diese Geschichte sicherlich straffen können.

Auf der Suche nach dem Glück

Nicht nur die Nebengeschichten erfahren dramatische Wendungen – auch Saga und Henrik haben mit dutzenden neuen Problem zu kämpfen. Ich bin in jeder Episode von neuem begeistert davon, wie willig „Die Brücke“ ist, bisherige private Handlungsstränge in Windeseile aufzulösen (und gelegentlich auch zu torpedieren) und daraus neue Situationen zu entwickeln, die die Figuren mindestens ebenso fordern wie zuvor.

Ein Beispiel ist Sagas Mutter Ann-Louise: Die sorgte für so viel Konflikt, dass „Die Brücke“ sie locker für zwei Staffeln lang in Sagas Nacken herumspuken hätte lassen können. Stattdessen stirbt der Vater, ohne dass wir ihn zu Gesicht bekommen hätten, und die Mutter nimmt sich in Episode 3 das Leben. Offenbar hinterlässt Sagas Mutter ein genügend großes Vermächtnis, um vier weitere Folgen lang Saga das Leben schwer zu machen. Von etwaigen Schuldgefühlen abgesehen erhalten wir hier ja schon eine Ahnung: Als scheinbar letzten Akt ihres Lebens behauptet sie, Saga hätte ihre Schwester auf dem Gewissen, und verrät das womöglich auch Linn. Oh, und Saga ist eine riesige Enttäuschung. Das lässt selbst Saga nicht kalt, und spielt zudem genau in jene Selbstzweifel hinein, die von Linn geweckt werden – von denen sie wohl kaum wusste, dass sie noch existieren.

Rasmus scheint nun jedenfalls interne Ermittlungen gegenüber Saga anzustellen, mit der er wohl noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Viel unmittelbarer ist allerdings die Frage, ob Saga die Wahrheit sagt, wenn sie behauptet, dass ihre Mutter lüge. Wir haben unsere Protagonistin stets als Ritterin der Wahrheit erlebt, die nicht unbedingt aus ethischen, sondern aus rein rationalen Gründen nicht viel von Lügen hält (siehe Rasmus in Staffel II). Hier wird sie auf die Probe gestellt: Wenn ihre Mutter die Wahrheit gesagt hätte – würde sie dann dennoch behaupten, es wäre gelogen gewesen? Obwohl wir unsere Heldin nun schon so gut kennen, ist es unheimlich schwer zu sagen, wer von den beiden (nicht nur, aber auch sich selbst an-) lügt – und gerade das macht diesen Konflikt so spannend.

Und das ist nur ein einziger persönlicher Handlungsstrang, den die Serie verfolgt. Parallel dazu widmet sich „Die Brücke“ in Staffel III mehr ihren zweitrangigen Hauptfiguren als jemals zuvor. Hans‘ Schicksal steht mehr denn je zuvor auf der Kippe, während seine Frau Lilian eine Privatfehde mit Hans‘ Ex-Frau ausfechtet. Selbst Jon bekommt erstmals in der Geschichte der Serie etwas anderes zu tun als neue Fakten für die Ermittlungen herunterzuspulen: Seine Tochter Julia stößt bei Saga auf wenig Verständnis, und privat lässt er sich mit Tina ein, die wichtige Informationen für die Ermittlungen haben könnte. Okay, wenn man das so formuliert, klingt das schon arg nach einem Zufall – aber solange die Serie zumindest zum Großteil auf Kausalität aufbaut, kann man bei dem einen oder anderen Zufall ja das Auge zudrücken.

Und dann ist da natürlich Henriks Hintergrundgeschichte, die gegen Halbzeit der Staffel endlich erklärt wird: Seine Familie verschwand von einem auf den anderen Tag spurlos. (Auch ein wenig ein Zufall, dass ausgerechnet Sagas Partner eine sogar noch tragischere Wunde in der Vergangenheit besitzt als sie, aber so läuft die Serienwelt nun mal.) Das ist nicht nur für sich genommen ein spannendes Setup, sondern gibt der anhaltenden Affäre zwischen den beiden Ermittlern zahlreiche zusätzliche Nuancen. Wenn sich Henrik zähneknirschend zwischen „Sex oder allein sein“ entscheiden muss, ist das nicht nur irre komisch, sondern für ihn auch fürchterlich ironisch: Allein sein gibt’s für ihn nicht.

Letztendlich verbindet Saga und Henrik ihr Ringen ums Glücklichsein. Erneut beweist „Die Brücke“ nicht gerade Subtilität, als sie das Saga einem komatösen Hans erzählen lässt, nachdem es Klaes auf der Wache schon deutlich zur Sprache kommen lässt. Gleichzeitig bleibt Saga dabei aber vollkommen sich selbst treu: Sie ist ja schließlich darauf programmiert, direkt auf den Punkt zu kommen. Jedenfalls scheinen beide nicht nur in ihren Privatleben unglücklich zu sein, sondern scheinen auch keinen Plan zu haben, was sie überhaupt glücklich machen würde – beide haben etwas verloren, das nicht wiederzubringen ist.

Und weil diese Suche nach dem Glück für die beiden so unmöglich scheint, tun sie einander gut. Es muss lindern zu wissen, dass es dem Gegenüber genauso ergeht, nicht zuletzt deshalb, weil das gegenseitige Verständnis für die beiden für die eigene Akzeptanz von großer Bedeutung ist. Darum ist es so wichtig für Saga, ausgerechnet von Henrik zu hören, was für eine außergewöhnliche Ermittlerin sie ist: Wenn er es sagt, kann sie sich selbst als solche besser erkennen, und kann damit den von Linn gesäten Selbstzweifeln entgegenwirken. Saga und Henrik sind zwei einsame Seelen, die durchs Zusammensein zwar nicht von ihrer Einsamkeit oder ihrer Suche nach dem Glück erlöst werden – aber sie erkennen sich selbst ineinander wieder. Und das macht die Beziehung zwischen den beiden noch deutlich spannender als die ohnehin schon fantastische Chemie, die Saga mit Martin hatte. Auch aus diesem Grund ist Staffel III die bislang beste der Serie – und ich sehe keinen Grund, warum sich das in den nächsten beiden Folgen ändern sollte.

Der ZDF strahlt die beiden letzten Folgen der Staffel 3 von „Die Brücke – Transit in den Tod“ am 6. März um 22 Uhr und 7. März um 22:15 Uhr aus – Fortsetzung.tv wird die Episoden mit Artikeln begleiten.

Alle drei Staffeln sind zur Zeit zur Gänze in der ZDF Mediathek verfügbar (allerdings erst ab 22 Uhr). Auch Netflix bietet Staffeln 1 und 2 in seinem Angebot in Deutschland an.

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