„Sedwitz“-Kritik: Ep. 1.04: „Der Mond ist aufgegangen“

Der Mond hat im Osten nichts von seiner romantischen Natur eingebüßt. Foto: ARD

Woran erkennt man herausragende Qualitäten einer Serie? Wenn unverhofft Details wiederkehren dürfen, statt als Gag verbraten werden. Das ist Handwerk, wie man es viel zu selten sieht und nicht so wurmstichig wie manch anderes im deutschen Fernsehen.

Was am Westen lockt, sind Zigaretten, Echtgeld und Jeansjacken. Was einen in den Westen lockt, ist die eigene Freundin, die, ohne sich zu verabschieden, rübergemacht hat. Der Osten hingegen bietet Kollegen, die nicht nur ihre eigene Feldpost gelesen haben, drei Jahre Knast für etwas, das man nicht begangen hat, und das Tischmikrofon in Form der Sputnik-Raumsonde vom russischen Alliierten (“Für den Tisch. Sie stellen auf, als Geste von Freundschaft.”). Da fällt die Wahl für die richtige Seite doch einfach, oder?

Dass es sich die beiden Autoren von “Sedwitz” eben nicht so einfach machen, ist ihre vielleicht größte Qualität. Allein das ist bereits differenzierter, als das, was man sonst in Sachen „raketengeiler“ Ost/West-Fernsehware aufgetischt bekommt. Nicht jeder Schuss muss ein Treffer sein, um als Versuch eines Abschusses gewertet zu werden. Solche nicht einmal angesprochenen Details lassen jeden mitdenkenden Zuschauer aufatmen und dieses Kleinod in vollen Zügen genießen.

Auch diese Woche sollen Antiquitäten ihren Weg in den Westen finden, obwohl Wetzel unserem Pietzsch unterstellt, doch gar keinen Geschmack zu haben. Nur benötigt Ralle diesmal Hilfe beim Tragen, und so macht er sich mit den eingeweihten Schnaider und Stordel auf zu einer Übung in den Westen, einschließlich unvermeidbarem “Feindkontakt”, der einen im Auto mitnimmt. Das macht vielleicht noch keine Hoffnung, bringt einen aber immerhin ins nahe Hof.

“Ich bin auch sicher, dass ich des nicht sagen darf, drum hat er’s mir ja auch nicht gsagt (…)”

Hubert Weisspfennig hat es auch nicht leicht. Schon mit dem Bob-“Saul”-Odenkirk-Gedächtnistoupet überfordert, scheitert er am Anspruch der Geheimhaltung eines Stufe-10-Kontaktes ebenso wie an der Wahl der richtige Begleitung für den noch im Keller zu errichtenden Atombunker. Als Ralle ihm versichert, dass es im Augenblick nicht nach Krieg aussähe, ist er dann auch direkt ein bisschen enttäuscht.

Gerhard Polt führt durch seinen Atombunker.

Und wie sieht es mit der gewünschten “Kante” unseres liebgewonnenen Grenzers Ralf Pietzsch aus? Die legt er in Hof an den Tag, als er seinem Untergebenen ins Gewissen redet, nachdem dieser seine Absicht äußert, im Westen bleiben zu wollen. So wahr es sein mag, was er hier ausspricht, es dient auch dem eigenen Vorteil, jemanden nicht als “abgängig” melden zu müssen. Das ist so manipulativ, wie es auch einem Walter White gut zu Gesicht gestanden hätte. Fantastisch, damit hat “Sedwitz” endgültig zu sich selbst gefunden und kann es sich verdient in einem Bett jenseits der Breite von 1,80 Meter gemütlich machen, mit oder ohne altem “Dreckschlübber”.

Randnotizwiederholung der Woche: Wer immer auf die Idee gekommen ist, das Banjo als Instrument der Wahl für die ländliche Provinz ausgesucht zu haben, kann in der Filmgeschichte nicht sehr bewandert sein:

Die berühmte “Dueling Banjos”-Szene aus “Beim Sterben ist jeder der Erste” von 1972.

In der Schule haben wir “Oh! Susanna” singen müssen, und darin wurde dieses Instrument völlig zu Recht übers Knie gelegt, was ich auch den Verantwortlichen für diese fortwährende Folter wünsche. Liebe ARD, ich zahle gerne für eine DVD-Sonderedition von “Sedwitz”, in der man diese grauenhafte Musikuntermalung ausblenden oder gleich durch anhaltende Stille ersetzen kann. Vielen herzlichen Dank.

“Sedwitz” läuft donnerstags in der ARD um 23 Uhr 30, freitags beim BR um 22 Uhr 45, beim MDR sonntags um 22 Uhr, in der Mediathek, online, als Podcast und auf youtube.

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