„Masters of Sex“-Kritik: Ep. 3.10: „Through A Glass, Darkly“

Umtausch ausgeschlossen, das Geburtstagskind leidet; Foto: Lionsgate TV

Die Durststrecke scheint überwunden, und die von uns lange prognostizierten Handlungsstränge werden endlich aufgegriffen, vorangetrieben oder gar weiterentwickelt. So richtig schmecken mag einem der entstandene Cocktail trotzdem nicht. Eine Episode, zwei Meinungen.

Bill Masters spricht im vom Alkohol vernebelten Kopf ausgerechnet Nora gegenüber aus, was bislang sowohl Virginia als auch unsereins als Zuschauer hinreichend erahnen durften, nämlich wie sehr er unter seinem Vater gelitten hat. Zu allem Überfluss erscheint er ihm in dieser Folge auch noch passender Weise gleich in der Tiefgarage. Ich dachte, Freud hätten wir hinter uns gelassen und das Unterbewusste in den oberen Stockwerken dem Lichte der Wissenschaft ausgesetzt? Sei’s drum, die emotional berührendste Szene gehört diese Woche wieder einmal Annaleigh Ashford, die als Betty selbst Beau Bridges staunen lässt. Hier wird Homosexualität weder klassisch („Parsifal“-Oper? Im Ernst???) noch durch den Holzhammer (Kneipenschlägerei) verunstaltet, sondern bekommt in ihrem ein offenes, verletzliches, menschliches Gesicht. Darüber kann man gerne vergessen, dass entgegen ihrem starken Spiel die Drehbuch-Betty ihre Beziehung zu Helen ebenso geheim hält wie Barton die seinen. Also, von einem offenen Coming Out der Beiden kann selbst im progressiven Umfeld von “Masters and Johnson” (klingt immer noch sehr nach einen Seifenmarke) nicht die Rede sein.

Etwas besser erwischt es Tessa, deren Beziehung zu einem Jungen auffliegt, und die sich eine Standpauke von ihrer Mutter anhören muss, offenbar einschließlich Verhütungsaufklärung, was uns der Schnitt zu einer anderen Szene glücklicherweise erspart hat. Eine Entwicklung darf ihre Figur diese Woche dennoch nicht durchmachen, stattdessen aber ihr Liebhaber, nachdem ihm Dan Logan zwei Klischeesätze an den Kopf geworfen hat. Das ist ein bisschen haarsträubend, im Vergleich zu den vergangenen Wochen trotzdem besser zu ertragen, weil dieser Konflikt ebenso wie andere so lange hinausgezögert wurde und man jetzt immerhin ein bisschen rätseln darf, wie er sich auflösen wird. Leider deuten alle Zeichen gleich auf die nächste Klischeeschwangerschaft hin, mit der wir (einschließlich Abtreibung) spätestens im Staffelfinale konfrontiert werden. Wie die Mutter, so die Tochter.

Ersatzvater Paul darf nun bei Libby glänzen und den Traumgatten so überzeichnet zum Besten geben, dass schon nicht mehr von unfreiwilliger Komik die Rede sein kann. Dem insgeheim vorbereiteten Geburtstagstheater wird daher auch der Ton abgedreht, weil nicht mal die Märchendarstellung von Libby genügend Substanz vorzuweisen hat, um gehört zu werden. Jetzt steht sie immerhin vor der Wahl, Bill sitzen zu lassen und ihr Leben mit den Kindern bei Paul neu zu starten. Bill kann sich dann ja mit dem Bully aus der Nachbarschaft trösten und gemeinsam mit der Erscheinung seines Vaters eine Partie Skat spielen.

Virginia versucht immer noch vergeblich, Sex von Liebe zu entkoppeln, was ihr nicht gelingt, und müsste jetzt so langsam mal Farbe bekennen, was sie denn eigentlich will. Das Luxusproblem einer Figur, die zu sehr auf ihre Arbeit reduziert wurde, von der diese Staffel wenig zu sehen war. Analysiert hat sie zwar alles um sich herum, nur sich selbst nicht in den Griff bekommen. Vielleicht war es ein Fehler der Autoren anzunehmen, dass sie einfach jemanden zwischen Bill und Virginia kommen lassen, statt deren offene Beziehung ebenso offen zu thematisieren, wie es in der ersten Folge der Staffel noch angeklungen war. Stattdessen sind alle Figuren durch das Raster gefallen, Libby, Bill und Virginia. Mit Dan und Bill buhlen jetzt zwei Männer nahezu mustergültig um sie, lassen ihr alle Freiheiten, wo Paul und Libby sich in ihrem überholt-konservativen Goldenen Käfig einrichten, der sie beide gleich zu Beginn ihrer Scheinehe in die Knie zwingt.

Holy Scheibenkleister

Welche Zutat könnte die Staffel jetzt noch zum Ende hin verderben? Steht in der Bibel, und der religiöse Fanatiker, der immer wieder zahlende Mieter belästigt, bekommt endlich das, worauf er so lange gewartet hat – einen Fuß in die Autotür. Warum Nora ihm Gehör schenken sollte, erschließt sich mir nicht. Der dürfte ihr doch längst ebenso auf die Nerven gegangen sein wie den Anderen? Er folgt ihr ja sogar spätnachts in die Tiefgarage? Also vertrauensfördernd ist das nicht gerade, vielleicht habe ich auch was nicht mitbekommen und das ist eigentlich die Erscheinung ihres Vaters – das wäre ja wieder toll gespiegelt zu Bill. Diese Staffel können die Bücher ihren Reißbrettcharakter einfach nicht verbergen oder wenigstens mit Leben füllen. So enttäuscht auch diese Folge nur deshalb weniger, weil die vorangegangenen bereits über die Maßen schwächelten.

Zwei Folgen stehen noch aus, und leider zeichnet sich ab, dass sich mit der Veröffentlichung des zweiten Buches der Kreis der Staffel schließt, ebenso wie möglicherweise die Klinik, wenn die Christenmenschen mitbekommen, dass dort Abtreibungen (bei Tessa?) vorgenommen werden. Im schlimmsten Fall heben sie sich diese Auseinandersetzung für die vierte Staffel auf. Wie siehst du das, Marcus? Jens Prausnitz

Ausnahmsweise bin ich mir diesmal mit Jens einig, was die beste Szene der Folge angeht: Annaleigh Ashford ist einmal mehr der scene stealer. Das liegt aber nicht nur an der tollen Schauspielerin, sondern auch daran, dass die Autoren es bei Betty als einziger der vier Hauptfiguren schaffen, sie als konsistente Figur zu zeichnen, die nicht je nach dramaturgischem Bedarf der Woche mal so und mal entgegengesetzt handelt. Alle anderen Hauptprotagonisten sind in dieser Staffel schon längst entweder zum Chamäleon oder zum wandelnden Klischee geworden, meist ist es sogar eine Mischung aus beidem. 

Es ist schon bemerkenswert, dass die Macher es nicht schaffen, bei diesem eigentlich hervorragenden Ensemble an Haupt- und wiederkehrenden Nebendarstellern eine interessante und unterhaltsame Handlung hinzubekommen. Beau Bridges, Josh Charles, Caplan und Sheen sowieso – das sind ja alles großartige Charakterdarsteller. Aber bis auf Herrn Bridges geben die Autoren keinem so richtig was zu tun. Die meisten Handlungsstränge bleiben auch diese Woche wieder im Klischee stecken – was noch schlimmer ist, die Handlung ist inzwischen überwiegend vollkommen vorhersehbar geworden. Selbst wenn man kein so großer Menschenkenner ist wie Kollege Jens, konnte man doch beispielsweise seit Wochen kommen sehen, dass Bill und Nora früher oder später übereinander herfallen würden. Dass das dann in einem üblen Coitus interruptus enden musste, macht die Sache auch nicht besser, aber wenigstens konnten wir mal Emily Kinneys entblößten Hintern sehen. Ernsthaft? Da hatte sie ja selbst in „The Walking Dead“ dankbarere Szenen und die waren meist schon nicht so richtig gut.

Kleiner Moment, groß gespielt

Manchmal blitzt ja doch noch etwas vom ursprünglichen Potential der Serie auf, etwa in der Szene am heimischen Küchentisch der Masters, wenn Bill Libby erklärt, warum er dachte, es wäre eine kluge Idee gewesen, ihr einen Urlaub alleine zu spendieren. Die Ehe der Beiden ist im Grunde schon längst gescheitert, trotzdem empfindet Bill seiner Gattin gegenüber noch immer große Sympathie (vergleichbar der Ehe zwischen den Scullys) – und auch ein Schuldgefühl. Es sind diese kleinen, leisen Momente, die einem hin und wieder noch mal kurz ins Gedächtnis rufen, warum man die Serie eigentlich anfangs so toll fand. Da darf dann auch Michael Sheen noch einmal die Strereotype des sexbesessenen Egomanen abstreifen und Bills Menschlichkeit offenbaren – schauspielerisch ist das ziemlich groß.

Virginia kommt unterdessen aus ihrer privaten Sackgasse nicht heraus – ob es eine gute Idee war, der Dauerbeziehung mit einem verheirateten Mann noch eine zweite Affäre mit einem anderen Ehemann hinzuzufügen, bezweifelt sie inzwischen auch laut. Leider sind nicht nur die meisten Figuren in solchen Sackgassen gefangen, sondern auch die Autoren scheinen sich in eine solche hineingeschrieben haben. Viel Hoffnung habe ich nicht mehr, dass sie es bis zum Staffelende schaffen, sich wieder daraus zu befreien.  Marcus Kirzynowski

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