„Sedwitz“-Kritik: Ep. 1.02: „Zauberwürfel“

Das 'Vertrauen in die Genossen vom Fernsehen ist nachhaltig gestört.' Foto: ARD

In der zweiten Folge zieht es den sich im Westen eher einsilbig gebenden Grenzbeamten Ralf Pietzsch auf seiner Suche nach einem Zauberwürfel für seinen Sohn nach Coburg, und die Serie wird einem mit jedem seiner Blicke sympathischer. Damit verdient sich “Sedwitz” ab sofort eine eigene Recap-Reihe.

Die Guido-Knopp-Montage des Anfangs entpuppt sich nun als Teaser mit neuen O-Tönen, gefolgt von kurzen, wieder mit “Amerika” von Rammstein unterlegten Einstellungen rund um die Ortschaft Sedwitz, die schon zur jeweils aktuellen Folge gehören. Das ist sehr ökonomisch und schont die ohnehin knappe Sendezeit.

Was dann folgt, wird vom großartig aufspielenden Olaf Burmeister als Major Neubert später in der Folge mit dem schönsten Metakritik-Kleinod zusammengefasst, das ich mir gerne als Motto einer Kolumne borgen würde: “Mein Vertrauen in die Genossen vom Fernsehen ist nachhaltig gestört.” Nur eines von vielen gelungenen Beispielen, an denen es den Drehbüchern dieser Serie glücklicherweise nicht mangelt.

“Wo woin sie hin?”

So ruft es die Hausmeisterin am Coburger Gymnasium dem Grenzbeamten hinterher, die ihn so misstrauisch durchs Gebäude verfolgt, wie es selbst einem Stasibeamten peinlich wäre, nur um dann von wartenden Eltern mit einem “A sie hab i da no nie gsehn.” begrüßt zu werden. Das ist so präzise beobachtet, wie es ein Gerhard Polt nicht treffender hätte beschreiben können. Willkommen im Freistaat Bayern. Verzeihung, in Franken, Allmächd!

Ralle schlägt sich unter seinem Pseudonym, so gut er kann, und da ihm niemand richtig zuhört, kommt er damit – und seinem frischen Wissen um die gerade gebräuchliche Namensgebung im Westen – durch und dem Gegenstand seines Begehrens näher.

Der Geruch grüner Apfelseife

Freiheit heißt im Westen, brav an verwaisten Bahnübergängen zu warten, selbst wenn weit und breit kein Zug zu sehen ist, und man hört Leute vom Angeln philosophieren, die von Fischen und deren Lebensraum zwar keine Ahnung, dafür aber ein umso größeres Mitteilungsbedürfnis haben.

Nach dem Seitenwechsel durch die “Transformations-Station” macht der Spott vor den traurigen Bürokraten im Osten keinen Halt, wenn beim sich rechtfertigenden Telefonat die Stimme an den Genossen Honecker an der Wand gerichtet ist oder der alkoholpralinenabhängige Chef, von dem man sich eben verabschiedet hat, nach dem Kameraschwenk gleich wieder vor einem steht, ohne dass es einen Schnitt oder ein albernes Erschrecken gäbe. So einfach kann Komik sein, wenn man den Holzhammer im Schrank lässt und dem hohen Sowjet-Besuch (dargestellt von Robert Palfrader) lieber ein unbeholfen diplomatisches „Es ist ja nicht nur unsere Grenze, es ist ja auch irgendwie unsere Grenze“ ins Gesicht stammelt.

Wunderbar getroffen ist auch das Herunterrattern formelhafter Sprache, in der dann von Begehungstüren in der Mauer zur Grünstreifenkontrolle, einschließlich dem Hinweis auf gelegentliche Provokation von gegnerischer Seite die Rede ist. Statt Witz-komm-raus heißt es dann eben “Herein, wenn’s kein Schneider ist.”, oder man hört staunend den in Westdeutschland unbekannten Geburtstagsliedern zu.

Wir haben offenbar noch viel voneinander zu lernen, und wenn es so frech und fein daher kommt wie diese Serie, dann kann man davon gar nicht genug bekommen und will den Zauberwürfel nie “wieder auf Null stellen”. Oder wie es Weisspfennig ausdrückt: “Des kann koaner. Des is a Trick, des ged ned.”

Dem von Thorsten Merten und Natalie Hünig gespielten Ehepaar könnte ich noch Stunden dabei zusehen, wie sie den Ost-Alltag bewältigen. Die beiden haben sich routiniert eingerichtet, sich ein Stückchen Freiheit erkämpft, und sind mir in ihrer entspannten Art und ihrem kleinen Glück näher als alle anderen derzeitigen deutschen Fernsehfamilien zusammen. So unaufgeregt geht es auch.

Etwas überzogen ist dann nur das überdimensionierte Peace-Zeichen der Lehrerin, schön hingegen, dass sie raucht, wie eine klassische Pädagogin der 80er Jahre. Unerträglich ist leider auch diese Woche wieder die subtile Komik übertönende Musik. Und spitzfindig die Frage, ob ein Junge 1988 im Osten schon “geil” gesagt hätte? Bin ich überfragt, tut dem Spaß aber sowieso keinen Abbruch mehr.

Adee, bis nächste Woche. Oder wie es Ralf in dieser Folge versuchsweise ausdrückte: “Pfüazi.”

“Sedwitz” läuft donnerstags in der ARD um 23.30, freitags beim BR um 22.45, beim MDR sonntags um 22.00 oder besser gleich ab sofort in der Mediathek, online, oder als Podcast.

2 comments

  1. Das ist eine großartige Serie.Leider kommt sie erst im späten Abendprogramm.Eigentlich sollte man nicht über den Eisernen Vorhang lachen.Aber auch wir ehemaligen DDR Bürger hatten unseren Galgenhumor. Sonst wär vieles nicht erträglich gewesen.Der Vorspann ist ausgezeichnet gemacht.Amerika von Rammstein paßt wie die Faust auf das Auge.
    Großartig ist der Monolog der Wirtin über den Todesstreifen.(Früher waren die Grenzer härter.)Leider ist das Ende offen .Kommt da noch eine Fortsetzung?Die Schauspieler waren ausgezeichnet. Bitte mehr davon im Deutschen Fernsehen.

    1. Wenn es nach den Machern und Autor Stefan Schwarz geht, dann wird es eine Fortsetzung geben, denn wie man unschwer – und vollkommen richtig – erahnt, war das Ende der sechsten Folge nicht als Schluss geplant, sondern wie in den Episoden zuvor als Cliffhanger. Von den Einblendungen sollte man sich nicht aufs Glatteis führen lassen, es gibt mehr Material nur hat die ARD anscheinend nicht den Mut gehabt gleich mehr Folgen bzw. Staffeln zu bestellen. Hoffen wir, dass es nicht erst den Grimme-Preis nächstes Jahr braucht, um die nächste Staffel in Auftrag zu geben. Bis dahin können wir als Zuschauer nur Eingabe um Eingabe an die Damen und Herren der „Fortsetzungsbehörde“ schreiben – ganz wie in alten Zeiten.

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