Mit „Eichwald, MdB“ hat sich das ZDF insofern einen Gefallen getan, als dass sie nun unter Zugzwang stehen. Denn wieder hatten sie damit ein Serienformat im Programm, das geradezu danach schreit, fortgesetzt zu werden. Es wäre zu wünschen, dass sich das Format zu einem Präzedenzfall in der deutschen Fernsehlandschaft auswächst. Wir erklären euch warum.
Es ist nicht das erste Mal, dass im Umfeld des Kleinen Fernsehspiels ein Format entsteht, dass sich sehen lassen, locker unterhalten und sogar begeistern kann. Das kann angenehm durchgeknallt sein wie “Ijon Tichy – Raumpilot”, mutig wie “Götter wie wir”, mal haarscharf schiefgehen wie “Lerchenberg”, oder vollends begeistern wie derzeit “Eichwald, MdB” – wer es noch nicht gesehen hat, Beeilung, noch sind die vier Folgen in der Mediathek zu bestaunen. Und es ist ebenfalls nicht das erste Mal, dass man der Redaktion neben einem Budget einer Sendung wie “Das große Schlüpfen” – worüber sich das hauseigene “Neo Magazin Royale” bereits vorzüglich und zurecht lustig gemacht hat – mehr denn je eines wünscht: einen Sendeplatz für ihre Serien.
Liebes ZDF, an wen muss man bei euch eine Petition richten, die hier Abhilfe schafft? Ihr seid auf dem richtigen Weg, bezieht intern in eure Quotemessung schon die Abrufzahlen aus der Mediathek mit ein, gebt euch Mühe – nur auf den letzten Metern vor der Ziellinie macht ihr einen Rückzieher, bockt und riskiert, dass der Reiter allein über die Hürde fliegt. Ohne euch. Als hättet ihr Angst vor der eigenen Courage, versteckt ihr die Perlen großzügig in den Spartenkanälen, Mediatheken, im Nachtprogramm, präsentiert sie nur nicht prominent, stolz und selbstbewusst. Himmel, mehr blamieren als mit nicht schlüpfendem Tier-Nachwuchs kann man sich nicht, und das traut ihr euch zur besten Sendezeit.
Niemand verlangt hier die komplette tägliche Belegung mit neuen Formaten, ein einziger, konsequenter Sendeplatz an einem von sieben möglichen Tagen ist alles, worum es geht. Nicht nach Mitternacht. Nicht am Vor- oder Nachmittag, sondern zwischen 20 und 23 Uhr. Eine volle Stunde. Lasst den Jan Böhmermann seine Show nach hinten raus machen, und vorweg läuft eine halbstündige Serie aus dem Umfeld des kleinen Fernsehspiels, der Quantum-Redaktion, und im Sommer Ausgrabungen aus dem Archiv. Woche für Woche. Also jede Woche. So regelmäßig wie etwa “37 Grad”. Und wenn etwas gut ist, dann bestellt mehr Folgen, selbst dann, wenn sich der Erfolg nicht gleich einstellt. Dann kommen die verlorenen Zuschauer aus ihren Ecken, schnuppern daran herum, bleiben vorerst verschreckt weg, und kommen dann nach kurzer Bedenkzeit wieder um zu bleiben. Ungläubig. Weil spätestens dann die jungen Mediennutzern ihren Eltern davon erzählt haben, und die sich selbst ein Bild machen wollen.
“Eichwald, MdB” hat schon jetzt so viele positive Stimmen geerntet wie der “Tatortreiniger” mit seinen ersten vier Folgen, und der Grimmepreis nächstes Jahr ist gesetzt. Ganz sicher. Warum? Weil es außer Schotty derzeit nichts im deutschen Fernsehen gibt, das auf diesem Niveau funktioniert, und wenn etwas so geschmiert läuft, dann will man mehr davon sehen. Das ist nicht die deutsche Version von “The Thick of it”, “Veep”, “Boss”, “Borgen” oder “House of Cards”, sondern die peinliche Antwort, zu der unsere bräsigen Politiker überhaupt noch fähig sind, würde sich jemand die Mühe machen sie zu beobachten, was sie mit der ihnen vom Wähler gegebenen Zeit anfangen: Hauptsächlich abwarten, was die anderen machen. Wer sich zuerst bewegt, wird bald abgewählt. In “Eichwald, MdB” wird keine Politik gemacht, keine eigene Meinung vertreten, keine Verantwortung übernommen, nichts dergleichen. Ein riesiger Apparat, der zu allem fähig ist, aber nichts zustande bringt. Wirkung ist alles, und man kann viel mehr von sich in diesen Figuren wiederfinden, als einem lieb ist.
Ob jung oder alt, hier prallen Generationen aufeinander, die sich nicht mehr viel zu sagen haben und in ihren Filter-Blasen aneinander vorbei treiben und sich in Rituale flüchten, wie sie in jeder Behörde an der Tagesordnung sind und sich meistens um Kuchen drehen. Das Versagen der Berliner Republik im Mikrokosmos des Partei-Hinterbänklers, der lieber bis zur Rente übersehen werden möchte, als sich nochmal von der Macht der Möglichkeiten anstecken zu lassen. Die Ambitionen sind so sehr verblasst und vollgeschmiert wie die Wahlplakate aus der Vorspannmontage. Politikverdrossenheit ist eben nicht das Symptom der Wähler, sondern höchstens Ergebnis der weit fortgeschrittenen Krankheit seiner Volksvertreter. Wähler engagieren sich heute selbst, anstatt auf Politiker zu warten, der Druck von unten nimmt zu. Der Fisch stinkt vom Kopfe her, und “Eichwald, Mdb” gibt Butter bei die Fischköppe, lässt sie in ihren eigenen Fettnäpfchen schmoren. Das ist gespickt mit feinen Pointen und Halbsätzen, Gedankensprüngen und präzisen Beobachtungen, dass man am Ende befürchtet, dass diese Serie der Wahrheit viel näher sein könnte als wir wissen wollten. Im Gegensatz zur Berliner Politik macht “Eichwald, MdB” Lust auf mehr. Die einen möchte man endlich abwählen, und ihnen dann doch gleichzeitig in dieser Serie bei ihren Verteidigungsmanövern zusehen, wie sie sich verzweifelten an ihre Posten krallen, und an ihrer chronischen Überforderung leiden.
Die Besetzung ist ein Genuss, das Ensemble wirkt bereits aufeinander eingespielt, als hätten sie damit eine Saison lang auf der Bühne gestanden. Und was noch besser ist: Die Regie hält wenn möglich mit der Kamera drauf, vertraut dem Spiel der Darsteller ebenso wie den Pointen im Buch, weder muss der Schnitt Akzente setzen, noch komische Musik oder gar Lacher vom Band unterstreichen, wo gelacht werden soll. Das ist Filmhandwerk von seiner besten Seite. Einziger Wermutstropfen ist vielleicht das Fehlen eines horizontalen Erzählstrangs. Zwar war dazu beispielsweise die Konkurrenz um das Direktmandat bereits angelegt, spielt im weiteren Verlauf der vier Folgen aber keine so große Rolle mehr. Das mindert aber nicht das Vergnügen, das einem „Eichwald, MdB“ bereitet.
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für das ZDF gekommen, um Nägel mit Köpfen zu machen und einen Sendeplatz zu schaffen. Andernfalls werden sich womöglich neue Player das Format unter den Nagel reißen, jetzt, wo die Produzentenallianz neue Optionen ausgehandelt hat. Netflix zum Beispiel. Die mögen das, weil sie nicht die Katze im Sack kaufen, sondern nur mehr vom selben Team wollen. Das haben sie mehrfach erfolgreich bewiesen, ob mit der Fortführung von “The Killing” (wovon AMC kein Finale produzieren wollte), der Wiederbelebung von “Arrested Development”, oder dieses Jahr erst “Unbreakable Kimmy Schmidt” (wo NBC kalte Füße gekriegt hat, als sie den fertigen Wurf von Tina Fey gesehen haben). Netflix bekommt bei Qualität heiße Ohren, und jetzt da man weiß, dass das Eisen heiß ist, würden das toll harmonierende Ensemble um Stefan Stuckmann und die Kundschafter Filmproduktion bestimmt nicht lange zögern, wenn sie neue Folgen konzipieren, produzieren, und schmieden dürften, egal für wen. Bei Netflix wäre man jedenfalls gleich in guter Gesellschaft, bei Schotty, dem „Tatortreiniger“. Die Frage ist viel weniger ob es dazu kommt, sondern wer hier das Rennen macht. Netflix, vielleicht amazon, arte oder vielleicht doch das ZDF selbst? Gewinnen wird hier am Ende so oder so endlich mal der Zuschauer, der Inhalte wegen, und das jenseits von Sender- oder Fraktionszwang.
Apropos Kopf-an-Kopf-Rennen: Ende des Monats nehmen wir mit Showrunner Stefan Stuckmann unseren ersten „Autorennen“-Podcast auf, in dem wir ihn gleich zu seinen Ideen für eine mögliche zweite Staffel befragen werden, im Pitch-Stop. Ob er sie uns verrät, müsst ihr dann selber herausfinden, und ihm zuhören.
EDIT 30.06.2015: Hier der Link zum Podcast.