Die Abgründe des Vorstadtalltags à la ORF: „Vorstadtweiber“

Nicht lange verzweifelt: die fünf Protagonistinnen; Foto: ORF

Hinter den gutbürgerlichen Fassaden der oberen Mittelschicht lauern meistens Abgründe. Das weiß der versierte Serienzuschauer spätestens seit US-Dramedys wie „Weeds“ und „Desperate Housewives“. Auch im 19. Bezirk der österreichischen Hauptstadt Wien ist das nicht anders, auch wenn hier alles noch etwas gemächlicher zuzugehen scheint als in den amerikanischen Suburbs.

Frustrierte Hausfrauen und „Luxusweibchen“ gibt es auch hier zur Genüge. Fünf von ihnen stehen im Mittelpunkt von „Vorstadtweiber“, einer neuen Koproduktion von ORF und ARD.

Gemeinsam haben die Freundinnen Nicoletta, Maria, Waltraud und Caroline die gutsituierten Ehemänner, die schmucken Häuschen und das weitestgehend sorgenfreie Leben. Berufstätig ist nur eine von ihnen, Nicoletta (Nina Proll), die eine Edelboutique führt, während die anderen ihre Tage mit Proseccotrinken, Café- und Friseurbesuchen totschlagen. Und natürlich mit der einen oder anderen außerehelichen Affäre. Da ist zum Beispiel Waltraud (Maria Köstlinger), die dem 16-jährigen Sohn ihrer Freundin Maria (Gerti Drassl) Nachhilfe gibt. Während die naive Mutter noch denkt, ihr Sohn wäre ein Spätzünder, der sich mehr für Harry Potter als für Mädchen interessiert, erteilt Waltraud ihm nebenan Nachhilfe auf ganz anderen Gebieten als Latein. Und Caroline (Martina Ebm), altersmäßig näher an ihrer Stieftochter als an ihrem Gatten, vertreibt sich die freie Zeit im Bett mit dessen Freund und Geschäftspartner.

Ins Wanken gerät diese Existenz zwischen Sorglosigkeit, Langeweile und Dekadenz, als bei einer Sexspielzeug-Verkaufsparty als Präsentatorin plötzlich die gemeinsame Bekannte Sabine (Adina Vetter) vor der Tür steht. Die ist gerade von ihrem Ehemann verlassen worden und, weil der Ehevertrag zu dessen Gunsten ausfiel, von einem Tag auf den anderen völlig mittellos. Während sie sich nun (trotz Hochschulabschluss) mit Jobs wie Putzen und Servieren herumschlagen muss, öffnet die unerwartete Begegnung auch den anderen Frauen die Augen. Ihnen könnte es schließlich genauso ergehen, sollten ihre Ehemänner auch das Interesse an ihren vorzeigbaren Gattinnen verlieren.  Also beginnen die Musterfrauen endlich, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen…

Sichtliche Spielfreude

Was sich auf dem Papier etwas zu stark wie eine austrifizierte Variante der „Desperate Housewives“ anhört, stellt sich schon im Verlauf der furiosen Auftaktfolge als ebenso originell wie eigenständig heraus. Sicher, die Themen und Konstellationen sind bekannt, werden hier aber mit bissigem Humor und viel Wiener Schmäh auf erfrischende Weise neu kombiniert. Dabei schrecken die Macher weder vor offenherzigen Sexszenen noch vor bitterem Sarkasmus zurück, so dass man sich eher wie bei einer US-Pay-TV-Serie von HBO oder Showtime fühlt als bei einer typischen deutschsprachigen Primetime-Serie, wie die hiesigen Sender sie einem gewöhnlich vorsetzen.

Bemerkenswert ist vor allem zweierlei: zum einen das durchweg hervorragende Ensemble, das die Creme de la Creme der österreichischen Schauspielszene vereint (ok, Palfrader und Ofczarek sind diesmal nicht dabei). Die fünf Hauptdarstellerinnen spielen mit sichtlichem Spaß an ihren unmoralischen Rollen groß auf, aber auch die Nebenrollen sind hochkarätig besetzt, von Simon Schwarz als skrupellosem Ehemann (und Pferdefleischverweigerer) bis Proschat Madani (die Integrations-Stadträtin aus „CopStories“) als herrlich süffisant-hemmungsloser Anwältin, die gleich beide Scheidungsparteien vertritt.

Die österreichischen Verhältnisse

Zum anderen überzeugt aber auch das Drehbuch von Vielschreiber Uli Brée, der mit dem klamaukigeren „Vier Frauen und ein Todesfall“ nur für diese Serie geübt zu haben scheint. Neulich noch mit der Steinzeitcomedy „Steintaler“ grandios gescheitert, trifft er diesmal fast durchgehend den richtigen Ton, parodiert die Schickeria immer nur so stark, dass einem die Figuren nicht unsympathisch werden. Dazwischen streut er die eine oder andere Anspielung auf reale österreichische Verhältnisse ein, auf ein von außen skurril anmutendes politisches System, in dem ein ehemaliger Finanzminister allen Ernstes behaupten kann, er habe von Steuererklärungen keine Ahnung. Das ist alles nicht so hemmungslos bissig wie in der ORF-Ausnahmeserie „Braunschlag“ von 2012, hebt sich aber angenehm von aktuellen ARD-Serien mit Nonnen und Tierärztinnen ab, die thematisch und stilistisch irgendwo in den 1980er Jahren steckengeblieben scheinen. Die „Vorstadtweiber“ sind sicherlich weit entfernt von dem, was die Feuilletons seit einigen Jahren als Qualitätsserien abfeiern, wirken aber in jeder Hinsicht modern und zeitgemäß.

Sicher, der oft etwas vordergründige Humor und die Frivolität werden manchen zu flach sein. Die sollten bedenken, dass auch in von der Kritik hochgelobten US-Comedys wie etwa „Silicon Valley“ (bei HBO) gerne Witze über Ständer gemacht werden oder die Charakterzeichnung bei „Weeds“ (bei Showtime) spätestens nach einigen Staffeln völlig beliebig wurde. Wie diese ist „Vorstadtweiber“ überwiegend und vor allem eine Unterhaltungsserie – und diesen Zweck erfüllt sie, obwohl die späteren Folgen das Niveau des Auftakts nicht halten können, fast mustergültig.

Die erste Staffel von „Vorstadtweiber“ läuft zurzeit noch monatgs um 20 Uhr 15 auf ORFeins (und ist danach jeweils eine Woche in der TV-Thek abrufbar) und soll in der ersten Jahreshälfte auch im Ersten anlaufen.

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