Clash der Kulturen und die Geister der Vergangenheit: „The Red Road“

Nach „Rectify“ legt SundanceTV (ehemals Sundance Channel) seine zweite vollständig allein verantwortete Dramaserie vor. Der Sechsteiler wirft einen Blick auf eine den meisten Zuschauern unbekannte Kultur: die der amerikanischen Ureinwohner. Hervorragend besetzt und gefilmt, fehlt der Serie bislang aber noch etwas der erzählerische Sog ähnlicher Formate.

Versuchen, ihre Ehe zu retten: Jean (Julianne Nicholson) und Harold Jenson (Martin Henderson); Foto: SundanceTV

Abgesehen von den bekannten Klischees in Westernserien sind die Ureinwohner eine Bevölkerungsgruppe, die in nordamerikanischen Fernsehproduktionen eher selten eine tragende Rolle spielt. Eine Ausnahme war in den 1990ern „Ausgerechnet Alaska“, das allerdings ein etwas idealisiertes Bild vom friedlichen Zusammenleben mit den Weißen zeichnete. Die kanadischen Nachbarn haben immerhin die Serie „Blackstone“, in der fast alle Figuren Native Americans sind und deren Porträt des Lebens in einem Reservat deutlich schonungsloser und leider wahrscheinlich auch realistischer ist. Diese Serie ist in Deutschland allerdings zu Unrecht komplett unbekannt. Höchste Zeit also, dass sich mit dem frisch umbenannten Kabelsender SundanceTV endlich ein US-Sender dem Thema in ernsthafter Form annahm: „The Red Road“ erzählt vom schwierigen Miteinander von Ureinwohnern und Nachfahren der weißen Einwanderer, von gegenseitigen Vorurteilen und cultural clash.

Die (fiktive) Kleinstadt Walpole liegt in der Nähe von New York City, direkt auf der anderen Seite des Hudson River, am Fuße der idyllischen Ramapo Mountains im Bundesstaat New Jersey. In den Bergen selbst leben Angehörige eines Stammes der Lenape, mehr oder weniger abgeschieden von den überwiegend weißen Einwohnern Walpoles. Die bis dato eher unter der Oberfläche schwelenden Konflikte zwischen den beiden Gruppen brechen auf, als ein Student als vermisst gemeldet wird, just zu dem Zeitpunkt, als mit Phillip Kopus (Jason Momoa) ein Gewohnheitsgangster des Stammes aus dem Gefängnis entlassen wird und in die Berge zurückkehrt. Als Zuschauer erfährt man schon zu Beginn der ersten Folge, dass er an dem Verschwinden des Jungen nicht unbeteiligt ist und auch sonst nicht vorhat, jetzt ein rechtschaffenes Leben zu beginnen.

Erzählweise ruhiger Independentfilme

Unterdessen versucht der Polizeibeamte Harold Jensen (Martin Henderson), seine Familie zusammenzuhalten, während seine Ehefrau Jean (Julianne Nicholson) langsam durchdreht. Sie hat gerade einen Alkoholentzug hinter sich und will mit allen Mitteln verhindern, dass ihre Teenagertochter Rachel (Allie Gonino) sich weiterhin mit dem Lenape-Jungen Junior (Kiowa Gordon) trifft. Was zunächst komplett irrational (und rassistisch) wirkt, hat seine Ursache in einem traumatischen Erlebnis aus Jeans eigener Jugend: Damals ertrank ihr Bruder im See, während befreundete Lenape-Männer tatenlos zusahen. Als Jean, völlig außer sich, in die Berge fährt, um ihre Tochter zu schützen, fährt sie einen Jungen an und begeht Fahrerflucht – der Auslöser für eine ganze Kette von Verwicklungen.

Bringt Unfrieden in seine Heimat: Philip Kopus (Jason Momoa, r.) mit seiner Familie (Tamara Tunie, Kiowa Gordon); Foto: James Minchin/SundanceTV

Etwas konstruiert wirken sie schon, die ersten Folgen von „The Red Road“: Natürlich kennen sich Kopus und die Jensens bereits aus ihrer gemeinsamen Schulzeit, natürlich ist der eine inzwischen Verbrecher und der andere Cop, und selbstverständlich scheint sich das Schicksal der Elterngeneration bei den Kindern zu wiederholen. Obwohl die Geheimnisse, die durch die Dialoge über Ereignisse und Beziehungen in der Vergangenheit aufgebaut werden, recht durchschaubar wirken, gelingt es der Serie durchaus, den Zuschauer in die Handlung hineinzuziehen. Das liegt allerdings weniger am Drehbuch als an der hochwertigen Inszenierung und der atmosphärischen Kameraarbeit von Ivan Strasburg. „The Red Road“ ist erst die zweite vollständig eigenproduzierte Serie des Kabelsenders SundanceTV nach dem letztjährigen Überraschungserfolg „Rectify“, und ähnlich wie jener erinnert auch hier die Erzählweise und Bildgestaltung an die Art von ruhigen Independentfilmen, durch die der Name „Sundance“ zur Marke geworden ist. Oder mit anderen Worten: In einer Dreistundenfassung könnte diese Produktion auch problemlos auf dem gleichnamigen, von Robert Redford ins Leben gerufenen Filmfestival laufen.

Die fremde Welt der Stammesgesellschaft

Zu den teils wunderschönen Bildern von Wäldern, Bergen und einsamen Seen kommt ein interessantes Schauspielensemble, in dem sich so manches aus hochwertigen HBO- und Showtime-Serien bekanntes Gesicht findet: So war Jason Momoa der Khal Drogo in der ersten Staffel „Game of Thrones“. Julianne Nicholson, in einem scheinbar anderen Leben einmal eine Art Klon der Hauptfigur in der letzten „Ally McBeal“-Staffel, erlebt zurzeit ihren Durchbruch und ist quasi überall zu sehen: in „Boardwalk Empire“, „Masters of Sex“ und an der Seite von Meryl Streep im Oscar-nominierten Film „Im August in Osage County“. In Nebenrollen beliebte Schauspieler, die man eher länger nicht mehr gesehen hat: Lisa Bonet, die „wilde“ Tochter Denise aus der „Cosby Show“, und Mike Farrell, der nette Tierarzt und Familienvater aus „Providence“. Mit so einer Besetzung kann man eigentlich nicht mehr viel falsch machen. Und tatsächlich schaut man gerne diesen begabten Darstellern bei ihrer Arbeit zu.

Trotzdem fehlt nach drei Folgen noch irgendetwas, das aus einer guten Serie eine wirklich fesselnde macht. Der erzählerische Sog will sich bislang nicht so recht einstellen. Dafür ist die Geschichte doch etwas zu generisch, sind die Figuren noch etwas zu formelhaft entworfen: der coole Gangster, der zerrissene Cop, die verzweifelte Alkoholikerin, die naive Teenietochter. Interessant wird die Serie immer dann, wenn sie in die fremde Welt der Stammesgesellschaft eintaucht, wenn sie ganz unspektakulär das Leben der Ureinwohner zwischen Traditionspflege, Anpassungsversuchen und Diskriminierungserfahrungen einfängt. Hiervon würde man gerne mehr sehen. Was man hingegen nicht weiter ausgewalzt braucht, sind die illegalen Medikamenten-Geschäfte von Kopus und dessen Mafia-artig organisierter Gang, damit die Serie nicht in Richtung „Sopranos“ mit Indianern abdriftet. Positiv ist bislang, dass jede Ethnie ihren Teil guter und schlechter Eigenschaften abbekommt, dass keine Figur sich in gängige Schwarz-Weiß-Schemata pressen lässt. Jetzt müssten sie nur noch etwas individueller gezeichnet werden und die Spannungskurve leicht steigen. Was der Serie  jetzt schon gelingt, ist, SundanceTV als einen der führenden Anbieter qualitativ hochwertiger Dramaserien zu bestätigen.

2 comments

  1. Indianer sind seit meiner Kindheit ein Softspot, und der „culture clash“ ist für mich Thema, seit ich in Bad Segeberg bei den Karl May Festspielen einen Indianer an der Currywurst-Bude stehen sah. Wir haben eine verkitschte, romantische Vorstellung von indianischer Kultur, ebenso wie von nahezu allen anderen ethnischen Minderheiten. Wann spielen in Deutschland zum Beispiel Sinti und Roma in Serien oder Spielfilmen eine Rolle jenseits des Klischees?

    Auf THE RED ROAD habe ich mich sehr gefreut, und nach der Pilotfolge habe ich die Lust daran bereits wieder verloren. Zu offensichtlich ist das Drehbuch auf seine Konstruktion hin konstruiert, wie es Marcus schon richtig andeutet – das Hauptaugenmerk der Dramaturgie liegt in der verschachtelten Informationsvergabe über eine Generation hinweg, die Vergangenheit holt die Figuren ein, und manches von dem, was sie sich seit Jahrzehnten einreden, wird sich als Fehlinterpretation erweisen. Jede Wette, dass der Tod des Bruders von Jean noch um eine unbekannte Komponente bereichert werden wird. Das kann durchaus spannend sein, aber es interessiert mich nicht mehr, weil es eben nicht packend inszeniert ist. Trotz hochkarätiger Besetzung, und an Julianne Nicholson kann ich mich nun gerade wirklich nicht satt sehen, so großartig spielt diese spröde, zerbrechliche, an eine junge „Shirley MacLaine“ erinnernde Schauspielerin, die man gerne in einer tragenden Hauptrolle wiedersehen möchte.

    Zu kurz kommt wieder einmal die indianische Kultur, oder was davon noch übrig ist, oder es kommt noch, und ich irre mich hoffentlich in diesem, meinem frühzeitigen Urteil. Toll anzusehen ist die Serie, auch und gerade wegen dem fantastischen TREME Kameramann Ivan Strasburg, lieber Marcus (hi, hi). Verfrüht ist sicher auch das Lob für Sundance TV, so vielversprechend dort vor allem RECTIFY gestartet ist, warten wir da doch bitte mal die zweite Staffel ab. TOP OF THE LAKE ist für mich noch unübertroffen, und man darf gespannt sein, was dort noch alles kommt, aber THE RED ROAD hat es (noch) nicht geschafft mich zu begeistern. Welche Stellung Sundance TV tatsächlich einmal einnehmen wird, lass uns mal in aller Ruhe in fünf Jahren beurteilen. Den frischen Wind, den sie gerade in die Branche bringen, können wir ja trotzdem gerne genießen.

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