Die durch die Hölle gehen – Fünf heimliche Serienhelden

Wir feiern sie, doch bedingungslos lieben können wir die ambivalenten Serienhelden der neuen Generation nicht. Denn was sie ihren Mitmenschen antun, lässt sich niemals gutheißen. Um das klar zu machen, haben die Serienschöpfer ihnen Sidekicks zur Seite gestellt, die uns durch ihr unverhältnismäßig großes Leid diese moralische Willkür vor Augen führen. Hier sind fünf dieser Figuren, die die Herzen der Serienfans erobert haben.

Von Jens Mayer

Viel wird geschrieben von den großen Antihelden der Serien, Figuren wie Tony Soprano, Walter White oder Don Draper. Eines haben alle diese (über-)großen Charaktere gemeinsam: Sympathieträger sind sie allesamt keine, denn sie lügen, betrügen und sind einfach durch und durch unethisch. Dabei rechtfertigen sie ihr Verhalten vor anderen und vor allem vor sich selbst immer wieder aufs Neue als alternativlose Reaktion auf die Umstände, für die sie schließlich ja nichts könnten. Wiederholt stellen sie die ausschließlich rhetorische Frage: „Was hätte ich denn anderes tun können?“

Wahrscheinlich würden sie mit ihrer destruktiven Überzeugungskraft auch uns, die Zuschauer, einwickeln, wenn die Autoren ihnen nicht einen Widerpart gegenüberstellen würden, mit dem sie uns einen moralischen Kompass in die Hand geben, weil er uns vor Augen führt, was die Konsequenzen des rücksichtslosen Handelns sind. Wie im Bildnis des Dorian Gray zeichnet sich auf ihren Gesichtern der Schmerz, das Leid und die Verzweiflung ab, die ihre Vaterfiguren in der Serie verursachen. Sie selbst scheitern jedoch kläglich, wenn sie ihren verehrten Vorbildern nacheifern wollen und damit versuchen, sich zu beweisen. Aber auch wenn sie sich lösen wollen, um ihren eigenen Weg zu finden, müssen sie stets bitterlich dafür büßen. Durch die Tragik ihrer Suche nach Anerkennung und Selbstbestimmung sind sie unsere emotionalen Ankerpunkte in den Untiefen der düsteren Serienwelten.

Die Büßerfigur: Jesse Pinkman (Aaron Paul); Foto: AMC, Doug Hyun

1. Jesse Pinkman, „Breaking Bad“

Ein halbstarker Schulabbrecher und kleiner Drogendealer, der sein eigener bester Kunde ist. Sogenannter „White Trash“ ohne Perspektive, erweist er sich als herzenswarmer Mensch mit Gewissen und Aufrichtigkeit und scheint dennoch für sämtliche begangenen Sünden in „Breaking Bad“ immer wieder aufs Neue büßen zu müssen. Dass er von seinem ehemaligen Lehrer Walter White immer wieder ausgenutzt und unter Druck gesetzt wird, ohne jemals die erhoffte Bestätigung für seine Loyalität oder gar Anerkennung für seine offensichtlichen Talente zu erhalten, machen ihn zur Büßerfigur der Serie, der man eine glückliche Wiederauferstehung wünscht.

Der Mitläufer: Shane Vendrell (Walter Goggins); Foto: Sony TV

2. Shane Vendrell, „The Shield“

Redneck, Hitzkopf, Arschloch. Großartig verkörpert von Walter Goggins. Die naive Kompromisslosigkeit, mit der er seinem Anführer und Freund Vic Mackey folgt, führt uns die Unentschuldbarkeit des Vorgehens des wohl korruptesten Cops der Polizeiserien-Geschichte schonungslos vor Augen. Die Parallelen zwischen „The Shield“ und „Breaking Bad“ haben bereits einige Kritiker thematisiert – Shane und Jesse könnten jedenfalls auch Cousins sein, soviel steht fest.

Das Wiesel: Pete Campbell (Vincent Kartheiser); Foto: Lionsgate

3. Pete Campbell, „Mad Men“

Warum der kleine Schleimer und nicht Peggy Olson? Nun, in der Frage liegt schon die Antwort. Auch Peggy eifert der Werberikone Don Draper nach und fühlt sich regelmäßig übergangen und zurückgestoßen. Doch im Gegensatz zu Pete schafft sie es trotz vieler Rückschläge tatsächlich, sich zu entwickeln und weiterzukommen. Zudem, und das ist wohl der größte Unterschied zu Pete, wird sie von Don respektiert. Kundenbetreuer Pete kommt aus einer reichen New Yorker Familie, in den Augen seiner Eltern ist er ein Loser und auch Don ist von der überambitionierten Attitüde des Milchgesichts angewidert und versagt Campbell jegliche Anerkennung. Mag es den Zuschauern von „Mad Men“ anfangs vielleicht noch genauso gehen, dürfte spätestens ab der fünften Staffel das Mitleid mit dem nach Bestätigung heischenden Pete überwiegen, während die Härte Don Drapers ihm gegenüber erschüttert.

Der ewige Neffe: Christopher Moltisanti (Michael Imperioli); Foto: Warner Bros. TV

4. Christopher Moltisanti, „The Sopranos“

Man kann die von Michael Imperioli gespielte Figur als Prototypen des hier vorgestellten Typus bezeichnen. Er ist vaterlos aufgewachsen und schafft es nicht, sich von der despotischen Erziehung durch Tony Soprano und der Ersatzfamilie Mafia zu emanzipieren. Stattdessen lässt er sich – bewusst oder nicht – immer wieder für ihre Spielchen und Machtkämpfe missbrauchen. Ein impulsiver, suchtanfälliger und aggressiver junger Mann, der sich der gesamten Palette der Gewaltverbrechen von schwerer Körperverletzung bis hin zum eiskalten Mord schuldig macht, und der dennoch für die humorvollsten und fürsorglichsten Momente der Familiensaga zuständig ist.

Das Muttersöhnchen: Berthold Heisterkamp (Bjarne Mädel); Foto: Brainpool

5. Berthold Heisterkamp, „Stromberg“

Ja, richtig gelesen, in dieser Liste soll auch eine deutsche Serienfigur gewürdigt werden, die sich problemlos in die Reihe einfügt und die viele Merkmale der zuvor genannten Figuren in sich vereint. Muttersöhnchen, Nervensäge und Denunziant auf der einen, aber auch sensibel, verständnisvoll und bemitleidenswert auf der anderen Seite. Was wäre der zynische Nach-unten-Treter Bernd „Untertan“ Stromberg ohne den schwachen, und seinen willkürlichen Attacken ausgesetzten Punchingball „Ernie“?

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