The Gang’s All Here! Der Gangbegriff in „The Shield“

Shawn Ryans Copserie „The Shield“ konfrontiert die Zuschauer nicht nur mit ultraharten Geschichten aus einem Problemviertel in Los Angeles und einer hyperrealistischen Ästhetik, sondern auch mit einem Protagonisten, der den Gangleadern und Drogenbossen, die er bekämpfen soll, zum Verwechseln ähnelt.

Von Jens Mayer

Geschlossener Club: das Strike Team um Detective Mackey (M.); Fotos: Sony TV

Street Gangs: “A self-formed association of peers, united by mutual interests, with identifiable leadership and internal organization, who act collectively or as individuals to achieve specific purposes, including the conduct of illegal activity and control of a particular territory, facility, or enterprise.“ (Definition aus: Miller, W.B.: “Crime by Youth Gangs and Groups in the United States”. Washington, DC, 1992: U.S. Department of Justice)

Andere Städte mögen sogar schlimmere Statistiken vorweisen, den Titel als „Gang-Hauptstadt der USA“ trägt Los Angeles jedoch bis heute. Besonders der berüchtigte Stadtteil South Central wird seit nunmehr zwanzig Jahren als Synonym für Gewalt und Bandenkriminalität verwendet, in denen sich Gangs wie die Bloods und die Crips unerbittliche Kämpfe liefern. Die Unruhen im Zuge des Rodney-King-Prozesses von 1992 haben den Stadtteil geprägt und das Verhältnis zwischen Polizei und dem schwarzen Teil der Bevölkerung nachhaltig belastet. In den letzten Jahren haben Auseinandersetzungen zwischen afroamerikanischen, lateinamerikanischen und koreanischen Bevölkerungsgruppen das Pulverfass immer wieder aufs Neue entzündet. Arbeitslosigkeit und Armut fördern die ethnischen Konflikte in den Problemvierteln und entladen sich in bürgerkriegsähnlichen Konfrontationen um die Hoheit über die Territorien. Inmitten dieses unüberschaubaren Chaos’ haben lokale Polizeidepartments wenig Chancen, flächendeckend für Recht und Ordnung zu sorgen. Vielmehr scheint es eher um die notdürftige Eindämmung größerer Brände zu gehen, bevor das fragile System ganz in sich zusammenbricht und die gesamte Stadt in den Ausnahmezustand versetzt.

Mit „The Shield“ hat Shawn Ryan die zu diesen Verhältnissen passende ultimativ-zeitgemäße Cop-Serie geschaffen. Ähnlich wie „The Wire“, das 2002 übrigens knapp drei Monate später auf HBO Premiere feierte, hat die Serie das Genre in Bezug auf Charakter- und Systemstudien jedoch weit hinter sich gelassen und dem bis dahin vor sich hindümpelnden Kabelsender FX („There is no box“) beispiellose Einschaltquoten beschert. Über sechs Jahre, sieben Staffeln und 88 Folgen entwickelten die Macher die Geschichte um den korrupt-gewalttätigen Detective Vic Mackey (Michael Chiklis) in einem weitgehend auf sich allein gestellten Polizeiquartier in Farmington, einem fiktiven Distrikt in Los Angeles, und stellten ihm ein buntes Figurenensemble zur Seite.

Eindruck der konstanten Live-Berichterstattung

Wo „The Wire“ die Problematiken in einer verhältnismäßig kleinen Stadt wie Baltimore im Stile eines Planspiels angeht und die Verbindungen zwischen Legislative, Exekutive, Judikative immer wieder akribisch aufzuzeigen versucht, trägt „The Shield“ der fragmentierten Postmoderne Rechnung und konzentriert sich auf einen winzigen Ausschnitt des knapp 13-Millionen-Molochs Los Angeles. Das Department – von den Figuren ironischerweise mit dem Spitznamen The Barn („Der Stall“) bedacht – stellt die kleinste repräsentative Einheit des Regierungsapparats dar und ist nicht nur die Keimzelle für die unmittelbare Interaktion mit der Umgebung, sondern auch Schauplatz interner Auseinandersetzungen und Machtkämpfe. Wo „The Wire“-Schöpfer David Simon aus seiner Erfahrung als Polizeireporter schöpfte, was sich in genauer Beobachtung, ausgiebiger Recherche und der Herstellung von gesellschaftspolitischen Zusammenhängen zeigt, imitierte Shawn Ryan den Zuschauern wohlbekannte Fernsehbilder von CNN und FOX News und kreierte für „The Shield“ den Eindruck der konstanten Live-Berichterstattung. Alles geschieht unmittelbar und meistens gleichzeitig, Zeit zur Reflektion bleibt keine, weder für die Handelnden noch die Beobachter.

Der überzeugende „Reality-TV“-Look profitierte letztendlich vom begrenzten Budget der Produktion des Nischensenders. Drehs an Originalschauplätzen ohne Absperrungen und der Druck, jede Episode innerhalb von sieben Tagen abzudrehen, waren die idealen Grundbedingungen, um die durchgängige Grundanspannung der Figuren und des Plots in eine adäquate Atmosphäre zu übertragen.

Erfordern verzweifelte Zeiten zweifelhafte Maßnahmen?

Die simple wie maßgebende Grundidee, die für die Dynamik der Serie sorgt, ist die Erfindung der internen Einheit Strike Team, einer Kerntruppe von vier Detectives, die sich auf Drogen- und Bandenkriminalität spezialisiert hat (wie sich herausstellen wird, ist diese Definition durchaus doppeldeutig zu verstehen), und unter der Leitung von Vic Mackey mit ihren radikalen Methoden bereits a priori die Frage aufwirft, ob Effektivität die Mittel rechtfertigen kann, mit der gegen die erbarmungslose Gewaltspirale vorgegangen werden muss. Die Grundproblematik lautet: Kann dem Gesetz der Straße mit denen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überhaupt noch beigekommen werden oder erfordern verzweifelte Zeiten zweifelhafte Maßnahmen, wie uns auf globalerer Ebene zur gleichen Zeit auch Jack Bauer in „24“ weismachen wollte?

Glücklicherweise belässt es Ryan aber nicht bei der Idee, der Realität der Straßen mit entsprechenden Gewaltmaßnamen und martialischer Nulltoleranz zu begegnen. Vielmehr stellt er das Strike Team selbst nicht nur als moralisch fragwürdig, sondern als eindeutig kriminell dar und spiegelt damit die Gang-Struktur und Praktiken in dem Apparat, der sie nach außen hin zu bekämpfen hat. Als Inspiration für die Erzählung von „The Shield“ nennt Shawn Ryan den „Rampart-Skandal“, der in den 90er Jahren eine Polizeidivision im gleichnamigen Bezirk betraf, bei dem die Anti-Gang-Einheit CRASH (Community Resources Against Street Hoodlums) das LAPD in einen der größten Korruptionsfälle der jüngeren Geschichte verwickelte.

Gang gegen Gang: In ihren Methoden ähneln sich das Strike Team und die Verbrecherbanden stark

1. Das Team „A Self-formed association of peers, united by mutual interests“

Um rasche und vorzeigbare Erfolge in der Bekämpfung von Bandenkriminalität aufweisen zu können, setzt der stellvertretende Polizeipräsident Ben Gilroy das Strike Team als effektive Elite-Einheit im Problembezirk Farmington ein. Demnach ist „die Gang“ zwar offiziell legitimiert, wird aber auch innerhalb des Apparats immer wieder kritisiert und in Frage gestellt. Es ist zudem ein hochexklusiver Club, dessen vier Mitglieder eine enge Beziehung zusammenkittet. Vic Mackey ernennt seine Mitstreiter individuell und wählt dafür langjährige Vertraute und Partner wie Shane Vendrell (Walton Goggins) und Ronnie Gardocki (David Rees Snell) oder verlässt sich – wie im Falle von Curtis Lemansky (Kenny Johnson) – auf die persönliche Empfehlung eines seiner Teammitglieder. Der von Mackeys Erzfeind, Captain David Aceveda (Benito Martinez), als verdeckter Ermittler eingeschleuste Terry Crowley übersteht unter dem wachsamen Mackey, der dessen Gastspiel ein jähes Ende bereitet, noch nicht einmal die erste Episode.

Innerhalb des Reviers schottet sich das Quartett in einem separaten Raum von den Kollegen ab, den es bezeichnenderweise „Clubhaus“ nennt (ein Begriff, den Autor Kurt Sutter auch in seiner Nachfolgeserie „Sons of Anarchy“ einführt, und damit zu Vergleichen zwischen der Gruppendynamik des Strike Teams und der kriminellen Biker-Crew anregt). Mit dem Episodentitel der zweiten Folge „Our Gang“ und einer Parallelmontage der Beerdigungen von Detective Crowley und Gangster Two-Time legen die Macher weitere Hinweise auf die Ambiguität des Gang-Begriffes in der Serie.

Alphatier mit eigener Moral: Vic Mackey (Michael Chiklis)

2. Der Anführer – „…with identifiable leadership“

 

Den Status des Alphatiers Vic Mackey als Gangleader stellt kein Mitglied des Strike Teams ernsthaft in Frage. Alleine seine physische Erscheinung – Glatze, durchdringende blaue Augen – lässt keinen Zweifel an dessen vollkommener Hingabe und unerbittlicher Verfolgung seiner Ziele. Eigentlich von eher kleiner Statur, steht sein Körper konstant unter Spannung, kennt nur die energische Vorwärtsbewegung, die verdeutlicht, dass er niemals einer Konfrontation aus dem Weg gehen wird. Im Gegensatz zu Jimmy McNulty in „The Wire“, der das kaputte System, das ihn umgibt, nur im Suff ertragen kann, bleibt Mackey immer nüchtern und fokussiert. Er arrangiert sich mit den Gegebenheiten, sein Instinkt, an die „Spitze der Nahrungskette“ zu gelangen, ist konsequent. Es geht schließlich um das Überleben in einem menschenfeindlichen System, in dem nur der Fitteste eine Chance hat. In einer Umgebung, in der Gesetze, Vernunft und Moral ohnehin zur Unkenntlichkeit verdreht sind, richtet er seine Welt nach einer eigenen inneren Moral aus, die jede seiner Taten zu rechtfertigen weiß.

Zumindest in der ersten Staffel lässt sein ambivalentes Wesen, das ihn auch als fürsorglichen Ehemann und Vater sowie mitfühlenden Freund zeigt, die Zuschauer im Zweifel darüber, ob es nicht vielleicht genau solche Männer braucht, um in die Untiefen der Gesellschaft hinabzusteigen und aufzuräumen: „The road to justice is twisted“, bringt ein Promosatz des Senders den Kern der Serie auf den Punkt. Auch sein Umgang mit Kollegen und Mitmenschen wird durch seinen komplexen Charakter geprägt, der die Rollen des „guten Bullen“ und „bösen Bullen“ verinnerlicht hat, sich über solche Schwarzweißmalerei jedoch erhaben fühlt: „Good cop and bad cop left for the day. I’m a different kinda cop“, lässt er einen Verdächtigen selbstbewusst wissen.

Mackey erreicht seine Ziele meistens dadurch, dass er Schwachstellen und Fehler seiner Antagonisten aufspürt und erpresserisch gegen sie ausspielt. Umso überraschender ist sein zeitweiliges Auftreten als selbstloser „Freund und Helfer“, der seine Gegenüber auf hinterhältige Weise in ein Abhängigkeitssystem führt und sie in seiner Schuld stehen lässt. Beide Seiten lernt auch sein interner Gegenspieler kennen: Der politisch-ambitionierte Captain Aceveda bezeichnet ihn als „Al Capone with a badge“. Nur seine Polizeimarke macht den Unterschied.

Keine Gnade: Mackey und seine Männer sind nicht zimperlich

3. Die Verbrechen – „…including the conduct of illegal activity and control of a particular territory, facility, or enterprise“

 

Bereits die erste Folge verdeutlicht, dass Mackey das Gesetz seiner „Gang“ über alles stellt, denn er begeht die schlimmste denkbare Tat im Wertesystem der Cops: Polizistenmord. Abgebrüht und geplant erschießt er bei einem Einsatz den eingeschleusten V-Mann und gibt damit die Richtung vor, in die sich die restliche Serie entwickeln wird. Die Ratte muss sterben – wenn es um Verrat geht, herrscht im Strike Team der Richtspruch der Straßen. Mord, Folter, Erpressung, Drogenhandel, Körperverletzung, Betrug, Korruption, Diebstahl – die Liste der Straftaten, die Mackey und sein Team im Laufe der Staffeln begehen, ist lang. Selbst im Licht der reinen politischen Machtinteressen ihrer Vorgesetzten und der kaltblütigen Regeln der Unterwelt können sie irgendwann nicht mehr gerechtfertigt werden, zumal ihnen Ryan positivere Figuren wie die Streifenpolizisten Julien Lowe (Michael Jace) und Danni Sofer (Catherine Dent) oder das Ermittlerduo Dutch Wagenbach (Jay Karnes) und Claudette Wyms (CCH Pounder) gegenüberstellt.

Auch im Kampf um das Territorium Farmington macht Vic deutlich, dass er sich hier als Machthaber sieht, der die Regeln bestimmt („I am your landlord…my land“, „Somebody comes into my backyard and kills a girl, I get involved“). Gleichzeitig streitet er im internen Machtkampf mit Aceveda um die Hoheit in der Polizeistation.

Dass sich Vic und seine Entourage im Grunde kaum von den Gangs, die sie bekämpfen, unterscheiden, wird in der Spiegelung einer Sequenz der Folge „Throwaway“ in der ersten Staffel besonders deutlich: Mackey und Team imitieren den Überfall einer Latino-Gang eins zu eins, um deren Anführer Hector Estanza durch Zeugenaussagen zu be- und sich selbst zu entlasten. Die Unterscheidung der beiden mit einem Bandana maskierten Anführer Estanza und Mackey ist für Zeugen und Zuschauer kaum mehr möglich. (aus torrent 1/2013)

Die Serie ist komplett auf DVD bei Sony erschienen.

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