Neues aus der Anstalt: die ZDF-Selbst-Parodie „Lerchenberg“

Zum 50. Geburtstag gönnt das ZDF sich und seinen Zuschauern ein wenig Selbstironie: „Lerchenberg“ zeigt den Arbeitsalltag im Mainzer Sendezentrum als Aneinanderreihung absurder Situationen. In den Hauptrollen überzeugen Eva Löbau als gestresste Redakteurin und Sascha Hehn als abgehalfterte Version seiner Selbst. Jetzt liegen die vier Folgen auch auf DVD vor.

Die Idealistin und die Karrieristin: Billie Zarg (Eva Löbau) und Redaktionsleiterin Dr. Wolter (Karin Giegerich); Fotos: ZDF

Die (nicht mehr ganz) junge ZDF-Redakteurin Billie Zarg (Eva Löbau) hat es irgendwie „immer so mit Anspruch“, wie es die Sekretärin und Bürobotin Anita flapsig ausdrückt. Man könnte auch einfach sagen: Sie glaubt noch an den Bildungs- und Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Leider steht sie damit ziemlich alleine auf den weiten Fluren des Sendezentrums auf dem Mainzer Lerchenberg. Ihre Vorgesetzte, die Redaktionsleiterin Dr. Wolter (Karin Giegerich) ist beispielsweise nur an der Quote interessiert. Und für die wäre es doch sicherlich gut, den ehemaligen ZDF-Star und Publikumsliebling Sascha Hehn in dem Sozialdrama zu besetzen, dass Billie gerade betreut. Die hält das zunächst für einen Scherz, steht der frühere „Schwarzwaldklinik“-Star doch genau für die Art von seichtem Unterhaltungsfernsehen, das sie schon lange als überholt betrachtet. Aber die naive Billie muss schnell lernen, dass all die Modernisierungsversprechen, die die Senderoberen immer so plakativ verkünden, doch nur Lippenbekenntnisse sind. Und so muss sie sich in jeder der vorläufig nur vier Folgen der ZDF-Comedyserie „Lerchenberg“ neue Ideen abringen, wie sie dem abgehalfterten Hehn in einem passenden Format zu einem Comeback verhelfen könnte.

Als bekannt wurde, dass ausgerechnet das konservative ZDF, der Sender mit dem Kukident-Image und dem 61 Jahre alten Durchschnittszuschauer, sich zur Feier seines 50-jährigen Bestehens mit einer Art Sitcom selbst aufs Korn nehmen wolle, durfte man aus gutem Grund misstrauisch sein. Nun liegt die erste Staffel der von Felix Binder, Maren Lüthje und Florian Schneider kreierten Serie auf DVD vor und läuft freitagabends nach der „heute-show“ auch im Zweiten – und siehe da: Die Selbstparodie funktioniert erstaunlich gut. Das liegt vor allem an dem gut zusammengestellten Ensemble. Eva Löbau ist ein erfrischend neues Gesicht, das man nicht schon aus Dutzenden anderer Produktionen kennt. Als ebenso gutgläubige wie latent überforderte Redakteurin wirkt sie unglaublich sympathisch – keine perfekte Karrierefrau, die problemlos Berufsalltag und Familienleben unter einen Hut bringt, wie es uns andere Filme oder Serien so oft vorgaukeln wollen, sondern eine ganz normale Frau.

Und Sascha Hehn beweist Mut zur Selbstdemontage. Wie er hier sein eigenes Image zwischen Frauenschwarm und arrogantem Arschloch bedient und zugleich auf die Spitze treibt, ist schon herrlich anzusehen. Wie viel von diesem öffentlichen Bild der Wahrheit entspricht, werden wir wohl nie erfahren, aber eines ist in jedem Fall sicher: Selbstironie hat er zur Genüge. Ihm fallen dann auch regelmäßig die besten One-Liner der Folgen zu, etwa „Wenn’s keiner guckt, ist es auch kein Fernsehen“ oder „Pilze sind die Pickel des Waldbodens und ich esse keine Mitesser“. Auch die Nebenrollen sind gut besetzt, überwiegend mit unverbrauchten Gesichtern, abgesehen von der verdienstvollen Anke Sevenich (dem „Schnüsschen“ aus der „Zweiten Heimat“), die ihre patente Bürobotin mit Edgar-Reitz-Gedenkakzent spielt.

„Besonders schön war er schon vorher nicht“: Sascha Hehn hat Chefmaskottchen Det auf dem Gewissen

Auch das ZDF selbst beweist durchaus Mut, denn wie die Anstalt hier dargestellt wird, taugt nicht gerade für eine Imagekampagne. Vielmehr erscheint das Sendezentrum wie eine obskure Mischung aus Großstadt-Arbeitsamt und Reformhochschule. Die endlosen Gänge und trostlosen Büros mit ihren undurchdringlichen Hierarchien und seltsamen Ritualen hätten Kafka zur Ehre gereicht. Jede Innovation wird hier bereits im Ansatz erstickt und aus dem Konzept einer pädagogischen Ernährungsshow wird dann in der Umsetzung eben doch wieder ein Weichnachtskochen mit Kinderchor. Spätestens wenn die (vorläufig) gescheiterte Billie im überdimensionierten Mainzelmännchen-Kostüm als Außenreporterin von der hauseigenen Fastnachtsfeier berichten muss, hat die Absurdität ihren Gipfel erreicht. Und natürlich hat im Sender jede etwas mit jedem, nicht nur an Fastnacht. Lediglich der armen Billie spannt natürlich die intrigante Praktikantin (Cornelia Gröschel) gleich in der ersten Folge ihr Büro-love interest aus.

Dabei lädt „Lerchenberg“, bei allem oft skurrilem Witz, nicht zum Schenkelklopfen ein, eher zum leisen In-sich-Hinein-Schmunzeln, ist auch eher Comedy als klassische Sitcom. Der Serie fehlt zwar das Tempo des (mindestens impliziten) Vorbilds „30 Rock“ von NBC, hat dafür aber wesentlich glaubwürdigere Figuren und offenbart vermutlich auch mehr Wahrheiten über den realen Alltag im Fernsehgeschäft. Dabei schrecken die Autoren auch nicht davor zurück, heilige Kühe der Sendergeschichte genüsslich zu schlachten, etwa wenn Sascha Hehn an der Seite von Wayne Carpendale in Matulas Fußstapfen bei „Ein Fall für Zwei“ treten soll. Und natürlich bevölkern die unvermeidlichen Mainzelmännchen jedes Büro und jedes Studio, zerbrechen aber gerne auch mal in Zwei. Ähnlich wie schon in der „heute-show“ oder dem leider nur auf eine Folge gekommenen ZDF_neo-Format „Ausgekuschelt!“ wird hier an den altgedienten Maskottchen kaum ein gutes Haar gelassen.

Sprechende Fastnachtskostüme: Praktikantin Judith (Cornelia Gröschel), Dr. Bode (Stephan Kampwirth) und Billie strafversetzt zur Reporterin

Zwar können die Folgen 3 und 4, die übrigens erst ein gutes Jahr nach den beiden Auftaktepisoden gedreht wurden, das Niveau nicht ganz halten, insgesamt macht die Serie aber einen sehr modernen und erfrischenden Eindruck. Es bliebe nur noch zu wünschen, das ZDF hätte nicht nur den Mut gehabt, diese Bücher umzusetzen, sondern das Ergebnis danach auch noch auf einem exponierten Sendeplatz auszustrahlen. Leider blieb es dann doch wieder bei einer Premiere (am Stück) auf ZDF_neo, gefolgt von einem 23 Uhr-Termin am Freitagabend im Hauptprogramm. So werden eben überwiegend doch wieder nur die Zuschauer das Kleinod entdecken, die zu alt oder zu gemütlich sind, um am Wochenende auszugehen. Oder man kauft sich die zeitgleich erschienene DVD und bekommt dann neben leider nur mäßig witzigem Bonusmaterial in Form gefakter Interviews und Dokus auch noch eine Retro-Autogrammkarte von Sascha Hehn im Tennisdress dazu. Mit der kann man dann entweder seine Oma erfreuen, die garantiert zur Kernzielgruppe des ZDF gehören dürfte, oder gleichaltige Freunde irritieren.

Die Schlusspointe der Staffel wurde übrigens schon vor Erstausstrahlung von der Realität eingeholt. Er könne doch einfach wieder zurück aufs „Traumschiff“ gehen, witzelt Hehn da im passenden Karnevalskostüm – natürlich nur als Kapitän. Genau in dieser Rolle wird der echte Sascha Hehn 2014 ins ZDF-Programm zurückkehren. Die 61-Jährigen wird’s freuen.

„Lerchenberg“ Staffel 1 R.: Felix Binder; B.: Binder, Maren Lüthje, Florian Schneider u.a. Ton: Deutsch; UT: Englisch. 100 Min. + 60 Min. Bonusmaterial (gefaktes „Hinter den Kulissen“, Fake-Doku „Das Lächeln ist nur aufgemalt – Aus dem Tagebuch eines Mainzelmännchens“, Trailer) Label: Studio Hamburg/Tellyvisions. DVD seit 5. April.

Die Folgen 3 und 4 laufen heute Abend (12. April) ab 23 Uhr im ZDF.

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