Erschreckend normal: „Bates Motel“ zeigt den legendären Serienkiller als Teenager

Mit „Bates Motel“ startete der US-Kabelsender A&E im März einen Serienhit against all odds: die Vorgeschichte von Alfred Hitchcocks vielleicht bekanntestem Thriller „Psycho“. Der mutterfixierte Frauenmörder Norman Bates als Jugendlicher, die Mutter noch höchst lebendig und das Ganze zusätzlich in unsere Gegenwart transferiert – kann das funktionieren oder ist es doch nur der bemühte Versuch, aus einem Klassiker neues Kapitel zu schlagen?

Meet the Bates: der junge Norman (Freddie Highmore) und Mutter Norma (Vera Farmiga); Foto: A&E

Es gibt Legenden, die sind einfach unsterblich. Die Legende von Norman Bates, dem schizophrenen Motelbesitzer, den Anthony Perkins so eindringlich in Alfred Hitchcocks Kinoklassiker „Psycho“ von 1960 verkörperte, ist so eine. Auch drei von 1983 bis 1990 entstandene, zunehmend krudere Fortsetzungen konnten dem Mythos des von seiner toten Mutter besessenen Serienkillers nicht nachhaltig schaden. 1987 hatte es schon einmal einen Pilotfilm für eine TV-Adaption namens „Bates Motel“ gegeben, der dann allerdings nicht in Serie ging. 26 Jahre später war es nun kurz vor Ostern so weit: Norman Bates wurde als Serienheld neu geboren, unter dem gleichen Titel wie 1987, allerdings in einer weitgehend neuen Umgebung.

Zunächst wirkt jedoch alles so, wie man es aus Hitchcocks Klassiker kennt: ein verschlafenes Nest an der Küste, das abgelegene Motel, darüber auf einem Hügel das längst ikonenhafte Holzhaus. Einrichtung, Kleidung, Automodelle – nichts deutet darauf hin, dass die neue A&E-Serie „Bates Motel“ nicht in den 50er Jahren angesiedelt ist. Bis irgendwann das erste Smartphone gezückt wird und schlagartig klar wird, dass wir uns in der Gegenwart befinden: ein cleverer Schachzug der Serienautoren. Sie erzählen zwar die Vorgeschichte des Originalfilms (und des Romans von Robert Bloch), aber angesiedelt in einer anderen Zeit, so dass es auch zu Abweichungen kommen kann. Das Ende ist klar, der Weg dorthin völlig offen.

Gleich zu Beginn der ersten Folge findet Norma Bates (Vera Farmiga), hier noch nicht nur höchst lebendig, sondern auch sehr attraktiv, ihren Ehemann tot im Keller. Daraufhin erwirbt sie spontan das bekannte Motel, das diesmal allerdings in White Pine Bay, Oregon steht, um dort mit ihrem 17-jährigen heißgeliebten Sohn Norman (Freddie Highmore) ein neues Leben anzufangen. Aber es kann bekanntlich der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Vormieter nicht gefällt, und so wird Norma schon bald von dem schmierigen Altbesitzer des Motels überrumpelt und vergewaltigt. Zwar platzt irgendwann Norman in die Situation und kann den Eindringling ausknocken, aber seine Mutter gibt sich nicht damit zufrieden, die Polizei zu rufen. Stattdessen übt sie blutige Selbstjustiz und Mutter und Sohn finden sich schon bald bei vertrauten Reinigungsarbeiten im Motelzimmer wieder.

Es sind Szenen wie diese, mit denen die Serienautoren vor allem in der ersten Folge immer wieder geschickt auf die Kinovorlage anspielen. So dürfen auch ausgestopfte Vögel und eine Dusche in der Auftaktepisode nicht fehlen. Trotzdem versteht das Drehbuch, immer wieder zu überraschen, denn gerade Norman Bates ist hier ganz anders gezeichnet, als man es von dem späteren Serienmörder vermuten könnte: erschreckend normal. Geschickt wird die Erwartungshaltung der Zuschauer gebrochen, wenn etwa der schüchterne Teenager an seinem ersten Schultag im neuen Wohnort morgens an der Bushaltestelle wartet und ein Auto mit gleich mehreren hübschen Mitschülerinnnen vor ihm anhält. Man rechnet jetzt mit einer Mobbingszene, die schon einmal einen Hinweis darauf liefert, wie Norman zu dem gestörten Verhältnis zu Frauen gekommen ist, das ihn später definiert. Aber nichts dergleichen: Die Mädels sind aufrichtig an dem neuen Klassenkameraden interessiert und ein besonders schönes flirtet sogar mit ihm. Später macht Norman an seiner neuen Schule noch die Bekanntschaft eines ebenfalls sehr netten, allerdings auf Grund einer schweren Krankheit weniger unbeschwerten Mädchens, mit dem sich bereits in der zweiten Folge eine Romanze zu entwickeln scheint.

Jeder hat eine Leiche im Keller

Ansonsten läuft in Normans neuem Leben leider nicht alles so gut. Vor allem scheinen die Bewohner von White Pine Bay hinter ihren Fassaden einige heftige Geheimnisse versteckt zu haben. Von Drogenanbau bis Lynchjustiz und Menschenhandel reichen die Aktivitäten des scheinbar so idyllischen Kaffs. Der Sheriff interessiert sich aber offensichtlich dafür nicht halb so viel wie für die Leiche, die die Bates selbst auf dem Gewissen haben. Der Hilfssheriff interessiert sich zu deren Glück zumindest noch für die attraktive Norma. Stoff genug für zumindest die erste Staffel, so dass die anfänglich berechtigte Sorge, den Autoren könnten bereits in der zweiten oder dritten Folge die spannenden Handlungselemente ausgehen, sich vorläufig als unbegründet erweist. Der fast zwangsläufig zu erwartende „mysteriöse Motelgast der Woche“ ist jedenfalls auch nach drei Episoden noch nicht in Sicht.

Getragen wird die Serie neben der überzeugenden Atmosphäre vor allem von den beiden hervorragenden Hauptdarstellern. Vera Farmiga („Up in the Air“) spielt Norma Bates als ambivalente Frau, die zwischen ihrem Lebenshunger und der vielleicht etwas zu großen Sorge um ihren Sohn hin und her gerissen ist; alles andere als eine Glucke. Fermiga wechselt in den richtigen Momenten problemlos von Verletzlichkeit zu Härte. Freddie Highmore wirkt tatsächlich wie ein junger Anthony Perkins, die meiste Zeit aber vor allem wie ein ganz normal verwirrter Jugendlicher zwischen Zuneigung zu seiner alleinerziehenden Mutter und sexuellem Erwachen. Erst das Wissen darum, wie diese Figur sich entwickeln wird, macht sein häufig wiederholtes „Mother!“ so beängstigend.

Etwas überflüssig ist hingegen der neu hinzu erfundene (Halb-)Bruder Normans, Dylan (Max Thieriot). Er soll wohl ein zusätzliches unsicheres Element in die Kleinfamilie bringen, wirkt aber reichlich aufgesetzt. Im Gegensatz zu Norman hasst er die gemeinsame Mutter, nennt sie eine Hure und macht Andeutungen über den Tod ihrer Verflossenen.

Insgesamt ist den Serienautoren um Carlton Cuse, Kerry Ehrin und Anthony Cipriano aber tatsächlich ein mittelgroßes Kunststück gelungen: Dass eine Neuauflage von „Psycho“ als Fernsehserie nicht nur halbwegs funktionieren, sondern tatsächlich zu den faszinierendsten neuen Dramaserien zählen könnte, die das US-Fernsehen zu bieten hat, hätten wohl auch Hardcorefans von Norman Bates kaum gedacht. Die Duschszene kann kommen!

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