Grünwald forever? Neuer ZDF-Freitagskrimi „Die Chefin“ versucht den Spagat zwischen Konvention und Modernität

Wenn das Familienleben thematisiert wird, wird es interessant: Vera Lanz (Katharina Böhm, m.) mit Tochter Zoe (Olga von Luckwald, l.); Fotos: ZDF/ Erika Hauri

Die taz meint, sie komme Schwiegermutterfernsehen gefährlich nahe, das ZDF hingegen kann mit der Einschaltquote bisher höchst zufrieden sein. Was ist dran an der neuen Freitagskrimiserie „Die Chefin“, die immerhin von Orkun Ertener kreiert wurde? Marcus Kirzynowski sah die Auftaktfolgen und sprach mit dem Miterfinder und Chefautor des hoch gelobten „KDD – Kriminaldauerdienst“.

Zu Beginn der ersten Folge, die am 24. Februar auf dem traditionellsten ZDF-Sendeplatz für Krimiserien, freitags um 20 Uhr 15, debütierte, ist alles wie gewohnt: Eine Frau ist vom Balkon gestürzt, die Münchner Kripo ermittelt. Die titelgebende Chefin des Ermittlerteams ist Vera Lanz (Katharina Böhm), eine nicht mehr ganz junge, aber ihre körperlichen Reize selbstbewusst ausspielende Hauptkommissarin, die bevorzugt in Lederjacke und mit ärmellosem, tief ausgeschnittenen Shirt unterwegs ist. Damit verwirrt sie erst einmal den Bewerber um eine freie Stelle in ihrer Abteilung, den jungen Kommissar Trompeter. Dritter im Bunde ist der altgediente Kollege Böhmer, der frühere Partner von Lanz’ Ehemann. Erst im letzten Drittel der Pilotfolge erfahren wir, dass der keinen natürlichen Tod gestorben ist, sondern bei einem Schusswechsel mit Kollegen – angeblich war er korrupt. Lanz glaubt natürlich noch heute an seine Unschuld und verdächtigt stattdessen seinen Ex-Partner Böhmer, etwas mit der Sache zu tun gehabt zu haben.

Mit all dem wird der Zuschauer aber erst konfrontiert, nachdem die Kommissare etwa 40 Minuten ganz konventionell in dem aktuellen Todesfall ermittelt haben – inklusive Verwandtenbefragungen in Grünwalder Vorortvillen. „Mit diesem von ‚Derrick’ vertrauten Setting haben wir versucht, die ZDF-Stammzuschauer abzuholen“, erklärt Serienschöpfer Orkun Ertener, der auch die erste Folge geschrieben hat, „um sie danach auch in andere Milieus mitzunehmen, etwa in die Drogenszene in der zweiten Folge.“ Es ist nicht der einzige Bezug zum übermächtigen Vorgänger auf diesem Sendeplatz: Oberinspektor Derrick taucht auch noch in persona auf – zumindest in Gestalt eines lebensgroßen Pappaufstellers, den sich Trompeter in sein neues Büro liefern lässt. Den Schatten Horst Tapperts scheinen seine Nachfolger auch sonst nicht loszuwerden. War „KDD“ vor einigen Jahren der ambitionierte Versuch, eine modern inszenierte und komplex erzählte Krimiserie am Freitagabend zu etablieren, rudert das ZDF nun wieder einige Meilen zurück.

Schroffes Auftreten, aufgemotzter Kleidungsstil: "Chefin" Vera Lanz im Verhör

Seine neue Serie sei „der Versuch, populärer zu erzählen und auch ältere Zuschauer zu erreichen“, sagt Ertener. „Wie bei ‚KDD’ wäre es nicht noch mal gegangen, das war mir klar.“ „Die Chefin“ soll deshalb einen Fall der Woche mit einer fortlaufenden Hintergrundgeschichte kombinieren. Dabei lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass seine Ursprungsidee vorsah, mehr Wert auf die horizontale Erzählung zu legen als es nun in den fertigen Folgen der Fall ist. Dass der Schwerpunkt der ersten Episode klar auf dem Einzelfall liegt, sei jedoch eine bewusste Entscheidung gewesen, um Stammzuschauer nicht gleich zu Beginn zu verschrecken wie seinerzeit bei „KDD“. „Danach ist es ein Prozess: Wie getrennt hält man den Story-Arc vom jeweiligen Fall der Woche?“ Bereits in der zweiten Folge sei keine klare Trennung mehr gegeben, der Einzelfall hänge darin mit der Hintergrundgeschichte zusammen.

Das Problem sei, dass das Publikum sich im Grunde in zwei Gruppen teile, so Ertener: „Die einen wollen eher die Hauptfigur auserzählt bekommen und einen starken Story-Arc, andere wollen nur den Einzelfall sehen und sind mit den fortlaufenden Elementen jetzt schon überfordert. Der Kompromiss wird vielleicht beiden Gruppen nicht gerecht.“ Eine Lösung wäre eventuell ein anderer, nicht so festgefahrener Sendeplatz gewesen. Ursprünglich sei die Serie für einen neuen Krimitermin am späten Samstagabend geplant gewesen, der hätte laut Ertener neue Möglichkeiten für moderneres Erzählen geboten. Das ZDF habe dann letztlich doch den Freitagstermin gewollt. „Das Ergebnis ist dem Sendeplatz angemessen“, so Erteners nüchternes Fazit. Mit 5,8 Millionen Zuschauern und 17,5 Prozent Marktanteil bei der ersten Folge sei die Serie ein Riesenerfolg für den Sender. Mit immerhin 15 Prozent startete „KDD“ allerdings damals auch nicht so schlecht. Im Gegensatz zu der Vorläuferserie hat Ertener diesmal nur geschrieben, nicht produziert. Die meisten Entscheidungen, was die Auswahl von Regisseuren und Schauspielern anging, habe das ZDF getroffen, nicht die Produktionsfirma. Zwar nennt der Autor zeitliche Gründe für seine Entscheidung, bei der geplanten zweiten Staffel nicht mehr an Bord zu sein. So ganz glauben mag man ihm aber nicht, auch wenn er betont, es gebe „keinen Grund, im Streit auseinander zu gehen.“

Obwohl gerade in den ersten Minuten der Auftaktfolge die Dialoge immer wieder das außergewöhnliche Talent des Drehbuchautors aufblitzen lassen, verliert sich der Reiz danach zunehmend im Verlauf der zu konventionell inszenierten Mördersuche. Auch Katharina Böhm wirkt in ihrer Rolle nicht wirklich glaubwürdig, wie sie aufgemotzt von Verdächtigem zu Verdächtigem stiefelt. Die Abgründe dieser Figur werden zu kurz und jeweils zu spät in den einzelnen Folgen angedeutet, als dass sie wirklich faszinieren könnte. Auch in der zweiten Woche gehörte die Sendezeit bis 21 Uhr praktisch komplett dem nicht wirklich packenden Mordfall, bevor die Kommissarin versunken auf die Wände starren durfte, auf denen sie die Spuren zum Tod ihres Gatten zusammengetragen hat. Am interessantesten wird die Serie immer dann, wenn das Privatleben der Ermittlerin in den Mittelpunkt rückt, das Verhältnis zu ihrer pubertierenden Tochter, die psychischen Verwundungen, die der schockierende Tod des Ehemanns und Vaters hinterlassen hat. In diesen Momenten ahnt man, wie die Serie auch hätte sein können, wenn die Verantwortlichen beim Sender mehr Mut bewiesen hätten.

Eine Frau zwischen gefährlichem Job und Mutterrolle: Die Kommissarin verteidigt ihre Tochter vor einem Tatverdächtigen

Die Frage, welche Form des Erzählens im deutschen Fernsehen funktioniere, sei ein ständiges Ausprobieren, so Ertener: „Wir suchen alle.“ Gerne würde er auch mal in anderen Genres erzählen, nicht immer nur Krimis. Aber die seien nun mal etabliert, die Tradition etwa der Familienserien bei den Öffentlich-Rechtlichen hingegen leider abgebrochen. So schreibt er halt Krimis, vor „KDD“ „Tatorte“ für die ARD oder die Figur des türkischstämmigen Ermittlers „Sinan Toprak“ für RTL („der Versuch, einen ‚Derrick’ für die späten 90er zu machen“). Er freue sich über Versuche bei Sat.1, ausgetretene Pfade zu verlassen, wie „Danni Lowinski“. „Das ist genau der richtige Weg: Figuren wie aus dem britischen Fernsehen und Fälle aus der Unterschicht, auf leichte Art erzählt und handwerklich hervorragend.“

Was ausländische Serien angehe, habe das ZDF ja mit dem Sonntagabend um 22 Uhr erfolgreich einen Programmplatz für hochwertige Serien etabliert, die auch jüngere Zuschauer ansprächen. „‚Luther’ etwa würde auf keinem anderen Sendeplatz funktionieren.“ „KDD“ hingegen sei von vielen Jungen während der TV-Ausstrahlung gar nicht wahrgenommen worden. „Die haben oft das ZDF gar nicht mehr auf der Fernbedienung.“ Innovativere Formate wanderten vielleicht in Zukunft vom linearen Fernsehen in andere Medien ab, etwa Video on Demand, finanziert von den Produzenten selbst, nicht mehr von den Sendern. „Wenn Qualitätsserien in Deutschland eine Zukunft haben, vielleicht eher dort.“ Es klingt zugleich ernüchtert wie hoffnungsvoll.

Folge 3 und 4 von „Die Chefin“ laufen am 9. und 16.3. jeweils um 20 Uhr 15 im ZDF.

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